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Wolgast, Eike [Editor]; Seebaß, Gottfried [Editor]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Editor]; Kirchenrechtliches Institut der Evangelischen Kirche in Deutschland [Editor]; Sehling, Emil [Bibliogr. antecedent]
Die evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahrhunderts (11. Band = Bayern, 1. Teil): Franken: Markgrafschaft Brandenburg-Ansbach-Kulmbach - Reichsstädte Nürnberg, Rothenburg, Schweinfurt, Weissenburg, Windsheim - Grafschaften Castell, Rieneck und Wertheim - Herrschaft Thüngen — Tübingen: J.C.B. Mohr (Paul Siebeck), 1961

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https://doi.org/10.11588/diglit.30627#0165
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III 4 a Kirchenordnung 1533

zur hoffnung geraizt werden und nicht verzagen, als
Jezechiehs am 18 [32]: Ich hab kein gefallen am tod
des sterbenden, spricht der Herr; darumb bekert
euch, so werdet ir leben! oder das exempel vom ver-
lornen sune, Luce am 15. oder sunst, was sich nach
gelegenheit der sachen wol füget.
Also soll man auch mit allen andern sünden und
lastern tun so lang, bis die leut ir sünd erkennen und
im gewissen empfinden, Gottes zorn förchten und
demselben herzlich begern zu empfliehen. Dann, wo
das geschicht, da werden die leut geschickt das evan-
gelion anzunemen und sich desselben zu pessern.
Sunst, wann mans den frechen, unpußfertigen,
rohen leuten sagt, werden sie nur erger.
a
Vom Gesetze.
Nach solichem einfeltigen und nützhchen ge-
prauch des gesetzs, wie es die puß anzurichten die-
net, wöllen wir nun ein wenig weiter von des gesetzs
art und natur reden, mer umb deren willen, die in
der schrift müssen umbgeen, dann umb des gemai-
nen volks willen. Dann obs wol für den gemainen
man genug ist, wann er also durch das gesetz zur
puß gelaitet wird, so müssen doch die diener des
worts ein merern und höhern verstand haben, auf
das sie ordenlich und verstendiglich mügen leren
und den betrübten, verwirten gewissen dester stat-
licher raten.
Wann wir aber vom gesetz reden, so versteen wir
ein jedes wort Gottes, darin er uns seinen willen an-
zaigt, den wir sollen tun, mit anhangen der troe seines
götlichen zorns und der strafe, die über uns geen
soll, wann wirs nicht tun, und das ist von nöten zu
wissen umb deren willen, die da mainen, es sei in
den büchern des neuen testaments kein gesetz be-
griffen und in dem alten testament nichts vom evan-
gelio gehandelt; dann solicher irtumb, macht gar
ungeschickte, ungelirnige schuler in der heiligen
schrift. Darumb, wo man soliche gepot Gottes mit
angehengten troen verfast findet, es sei in den schrif-
ten des alten oder neuen testaments, die soll man für
gesetz halten und eben davon reden und urtailen,
wie von andern gesetzen.
Es wird aber das gesetz gemainlich in zweierlei

a 1591 : + Das vierte capitul.

weis verstanden. Zum ersten auf flaischliche, grobe,
äußerliche weis, wann man maint, das gesetz ver-
piet allein die eußerlichen werk und, wer sich nur der
eußerlichen bösen werk enthelt, der hab schon das
gesetz gehalten und erfüllt, ob er gleich mit gedan-
ken, begirden und ganzem herzen inwendig wider
das gesetz strebt und wol lust het, wider das gesetz
zu tun, wann man nur der straf getrauet zu emp-
fliehen. Als wann das gesetz spricht: Du solt nicht
stelen, und dann ein mensch sich des stelens im werk
auf das aller fleißigst enthelt, ist und bleibt aber
dannocht inwendig geizig, sorgfeltig umb die narung
und lest sich haimlich gelusten alles, was er sihet,
das sein nechster guts hat, und maint dannocht,
wann er nur mit der hand nicht zugreif, er hab das
gepot rain und schon gehalten.
Solichs ist ein grober, unrechter, haidnischer ver-
stand, der da eitel heuchler macht, wie jener war,
der im tempel stund und sprach: Ich dank dir Gott,
das ich nicht bin wie ander leut, rauber, ungerecht,
eebrecher oder auch wie dieser zolner, Luce 18 [11].
Darumb können soliche leut, die das gesetz nicht
pesser dann auf dise grobe weis versteen, schwerlich
zu erkantnus Christi gebracht werden; dann sie
sehen allein dahin, das es möghch scheinet einem
menschen, Gottes gesetz auf soliche grobe weis zu
erfüllen. Darumb glauben sie auch, man muß mit
aigen guten werken für die sünd genug tun und die
seligkeit erwerben, und ist ine die predig von der ver-
gebung der sünd in Christo und von der gerechtig-
keit des glaubens ein lautere torheit und ergernuß.
Und solicher unrechter verstand ist bedeut wor-
den durch den fürhang des angesichts Mosi [Ex. 34,
33. 35]. Dann gleich wie die Juclen Mosis angesicht
nit sahen, sunder allein den fürhang, den sie selbs
darüber zu decken verursacht hetten, also sehen
auch dise heuchler heutigs tags nicht die rechten
mainung oder den rechten verstand des gesetzs, sun-
der nur allein den groben, flaischlichen verstand,
den sie selbs in das gesetz tragen, wie das auch Pau-
lus 2. Corinth. 3 [13-16] von den verstockten Juden
anzaigt und spricht: Bis auf den heutigen tag, bleibt
die selbig deck unaufgedeckt über dem alten testa-
ment, wann sie es lesen, weliche in Christo aufhöret.

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