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Wolgast, Eike [Editor]; Seebaß, Gottfried [Editor]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Editor]; Kirchenrechtliches Institut der Evangelischen Kirche in Deutschland [Editor]; Sehling, Emil [Bibliogr. antecedent]
Die evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahrhunderts (11. Band = Bayern, 1. Teil): Franken: Markgrafschaft Brandenburg-Ansbach-Kulmbach - Reichsstädte Nürnberg, Rothenburg, Schweinfurt, Weissenburg, Windsheim - Grafschaften Castell, Rieneck und Wertheim - Herrschaft Thüngen — Tübingen: J.C.B. Mohr (Paul Siebeck), 1961

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https://doi.org/10.11588/diglit.30627#0170
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Brandenburg und Nürnberg gemeinsam

eußerliche, burgerliche frümbkeit vor Gott nit gnug
ist zur seligkeit, so gefellt sie ime doch wol umb des
zeitlichen lebens, frid und rue willen. Er belonets
auch mit zeitlicher eer und gutern, wie man des vil
zeugnus und exempel in der schrift findet, und soli-
cher zwang soll nicht dahin gericht sein, das er alweg
were, sunder allein, bis wir glaubig werden und den
Heiligen Gaist empfangen; dann darnach tun wir frei-
willig, was recht ist, wiewol der alt Adam, der wider
den gaist begert, dieses zaums für und für bedarf.
Weiter soll ein zuchtmaister nicht allein zwingen,
sunder auch fleißig anzaigen und leren dasjene, dar-
durch wir zu der volkummenheit mögen kummen,
darinnen wir seines zwingens nicht mer bedörfen,
das ist: er sol sich fürdern, das er bald feierabent
mache und uns nicht lang aufhalt. Also tut auch das
gesetz. Es weret uns nicht allein mit der ruten, das
wir nicht ungehorsam, totschleger, eebrecher, dieb
und lügner werden eußerlich, sunder weiset uns auch
auf den künftigen Christum, durch den wir den Hei-
ligen Gaist erlangen sollen, das wir des gesetz zwang
nicht mer bedörfen. Dann Moses weiset uns zweierlei
weis auf Christum: erstlich mit klaren sprüchen, als
Deutero. 18 [14]: Einen propheten wie mich wird
der Herr dein Gott dir erwecken etc., darnach auch
mit haimlichen deutungen als mit dem osterlamb
und andern. Also tun auch die propheten manigfel-
tiglich, bis zuletzt Johannes der taufer mit fingern
auf ine deutet. Da nimbt dann der zuchtmaister ur-
laub und höret das gesetz auf, rne Paulus spricht
[Gal. 3, 25]: Das gesetz ist unser zuchtmaister bis
auf Christum. Dann gleich wie bei einem alten men-
schen die vernunft herrschet und nicht der zucht-
maister, also herschet bei einem glaubigen menschen
der gaist Christi und nicht das gesetz Mosi. Ehe dann
wir aber den gaist empfahen, müssen wir unter dem
gesetz sein, das es uns were, wie man einem zornigen
man weret, bis ime der zorn vergee.
Darumb dieweil der glaub nicht jedermans ding
ist, sollen die diener des worts das gesetz auf diese
weis fleißig treiben und die rohen leut darmit unter
der ruten halten und ziehen; dann daraus kummen
zweierlei guter frücht. Zum ersten frid, rue und ein
stilles leben. Zum andern ein gute gewonheit, die uns
fürdert, wann der gaist kumbt, das er unser flaisch
dester leichter zemen und unterdrücken kan; dan

es ist on zweifel: es wird denen viel seuerer der sünd
widerstand zu tun, wann sie schon den Heiligen
Gaist haben, die durch ein unordenlich sündlich
leben in ein böse gewonheit sein kummen dann de-
nen, die von jugent auf in eußerlicher zucht des ge-
setz aufgezogen sind. Es ist dem menschen gut,
spricht Jeremias [Klagl. 3, 27], das er das joch des
Herrn von jugend auf trag.
Und das sein die ursach, darumb Gott sein gesetz
hat geben, ob er wol wüste, das wir dardurch weder
frumm noch selig könten werden, nemlich: das wir
uns für sünder erkenneten, seinen götlichen zorn
förchteten und unser unvermögen (das wir uns selbs
nicht helfen könten) spüreten, in der eußerlichen
zucht lebeten und all unser zuversicht und trost auf
den künftigen Christum wendeten.
Und obgleich solicher verstand des gesetz dem
einfeltigen gemainen man zu hoch were, so müsten
doch die diener des worts das alles wissen, sollen sie
anderst die schrift versteen und ordenlich können
leren. Darumb sollen sie sich fleißigen, das sie ir lere,
nach gelegenheit der zuhörer meßigen und das ge-
setz also leren, daß sie die puß, wie vor angezaigt
ist, treiben und anrichten; dann wann sie dasselbig
tun, so kumbt das gesetz zu allen seinen werken.
Durch das gepot ist es zuchtmaister und zaigt die
sünd an. Durch das troen der straf und die exempel
zaigt es Gottes zorn an und mit den trostsprüchen
werden die leut zu Christo gewisen.
Dieweil aber das gesetz Mosi weitleuftig ist und
vil gepot, die uns christen gar nichts angeen, darin
verfast sein, so ist genug, das sie die zehen gepot für
sich nemen, wie sie Exodi. am 20. capit. geschrie-
ben sein, seintemal doch alles, was zu einem guten
leben gehört, reichlich darinnen angezaigt ist und die
andern gesetz und gute leer Mosi und der propheten,
die durchs neu testament nicht abgelegt sein, wol
darein mögen gezogen werden; dann sie doch nichts
anders tun, dann dieselben zehen gepot erklären.
Wiewol wir auch die zehen gepot nicht darumb
annemen, das sie von Mose herkummen, wir müsten
sunst das ganz gesetz Mosi annemen, sunder dar-
umb allein, das Moses das gesetz der natur, darzu
alle menschen zugleich verpflicht sein, aufs aller-
feinest hat angezaigt und das uns Christus und die
apostel darauf weisen.

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