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Wolgast, Eike [Hrsg.]; Seebaß, Gottfried [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Kirchenrechtliches Institut der Evangelischen Kirche in Deutschland [Hrsg.]; Sehling, Emil [Begr.]
Die evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahrhunderts (11. Band = Bayern, 1. Teil): Franken: Markgrafschaft Brandenburg-Ansbach-Kulmbach - Reichsstädte Nürnberg, Rothenburg, Schweinfurt, Weissenburg, Windsheim - Grafschaften Castell, Rieneck und Wertheim - Herrschaft Thüngen — Tübingen: J.C.B. Mohr (Paul Siebeck), 1961

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https://doi.org/10.11588/diglit.30627#0236
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Brandenburg und Nürnberg gemeinsam

hat, der seiner vater und muter stimm nicht ge-
horcht, so sollen sie ihn ergreifen, und zu den elti-
sten der stat füren und sagen: Diser unser sun ist
aigenwillig und ungehorsam und gehorchet uns nicht
und ist ein schwelger und trunkenpold. So sollen ihn
alle leut versteinigen, das er sterbe, und sol also das
bös abgeton werden, das es das ganz volk höre und
sich förchte (Deut. 21 [18-21]).
Da höret ihr nun, meine hehe kindlein, wie ubel
es Gott gefelt, wann man vater und muter nicht vol-
get, dieweil er bevilhet, man sol die kindlein töten,
die nicht gehorsam sein wöllen.
Nun höret aber auch die ursach, warumb Got so
ernstlich gepeut, vater und muter zu ehren. Dann
das ist die ursach. Unser lieber Herrgot tut uns so
vil guts durch unser vater und muter, das niemand
aussprechen kan; dann er gepraucht sie zu einem
werkzeug, dadurch er uns leib und leben gibt und
die narung darzu. Darumb sollen wir sie als Gottis
werkzeug ehren und, dieweil wir Gott nicht können
sehen und hören, so stellet er unser vater und muter
an sein stat, das sie mit uns sollen reden, uns leren
und gebieten, was wir tun sollen. Gleich wie ein
schulmeister, wann er aus der schul geht, so bevilhet
er einem andern, dieweil auf die kindlein zu sehen.
Den sol man dann auch nicht verachten, sonder ge-
horsam sein als den schulmeister selbs, und welches
kindlein das nicht tut, das straft der schulmeister,
wann er kompt. Also wird unser Hergot die kind-
lein auch strafen, die vater und muter nicht gehor-
sam gewest sein; dann er hat vater und muter be-
volhen, sie sollen die kindlein regirn und ziehen an
seiner stat.
So ist nun Got der Herr der recht werkmeister
und zuchtmeister, vater und muter aber sein der
werkzeug, dardurch es Gott alles ausricht. Dann
wann Gott ein menschen erschaffen wil und ihm leib
und seel geben, so nimpt er nicht einen laimpatzen
darzu, wie er zum ersten mal hat geton, da er den
Adam beschuf, sonder nimpt vater und muter dar-
zu und lest sie ein kindlein gepern. Darumb ist das
die erst woltat, das uns Gott durch unser vater und
muter leib und seel gibt.
Darnach wann wir geporn sein, wil uns Got er-
neren. So gibt er uns nicht speis vom himel herab,
sonder gibt der muter milch in die prüst, das sie ir

kindlein seuge, und gibt dem Vater ein narung, das
er sein kind aufziehen und kleiden kan. Dann wir
sehen, das die kindlein ein lange zeit da ligen, das
sie ihn selbs nicht helfen können, und wann uns Got
durch vater und muter nicht erhielt und erneret, so
müsten wir alle in der kindheit verderben und ster-
ben. Und das ist die ander woltat, die uns Got durch
unser vater und muter erzeigt, das wir bei dem
leben erhalten werden.
Wil er dann, das wir christen sein und im rechten
glauben auferzogen werden sollen, so gibt er uns
christen zu vater und muter. Die lassen uns dann
taufen, das wir auch christen und Gottis kinder wer-
den; dann wann unser eltern nicht christen wern,
so sehe man uns nicht an, das man uns taufet, bis
wir gros wurden und selbs darumb peten; dann ihr
sehet wol, das man keines Juden kindlein taufet.
Wann wir aber unglaubige vater und muter hetten
und ungetauft sturben, so weren wir ewiglich ver-
loren. Und wann wir gleich nicht bald sturben, so
macheten sie doch, das wir auch unglaubig bliben
und dem rechten glauben feind wurden, wie wir bei
den Juden wol sehen, die alle unserm glauben feind
werden und lest sich unter zehenhunderttausenten
kaum einer taufen. So ist nun das die drit woltat,
das uns unser Herrgot durch unser vater und muter
bald zu der taufe und in die christenheit bringt und
uns ein lieb zum christlichen glauben durch sie in
unser herz pflanzet, das wir gern christen sein. Wir
möchten sonst im alter villeicht nimmer mehr chri-
sten werden.
Wann wir dann aufwachsen und zeit ist, das wir
Gottis wort lernen sollen, so leret uns Gott am aller-
ersten die allerbesten und köstlichsten lere durch
vater und muter, nemlich die zehen gepot, den glau-
ben und das Vaterunser, und wann es gleich ander
leut tun, so geschicht es doch aus ihrem bevelh und
durch ihr belonung. Darumb ist nun das die viert
woltut, das uns Gott der Herr sein heiligs wort durch
unser vater und muter leret.
Auch leren vater und mutter weltliche zucht, das
wir feine, fridliche burgerliche leut werden, das man
uns leiden kan. Sie leren uns auch handwerk, ge-
werb, hendel und allerlei feine kunst, darmit wir uns
ernehren. Wir haben von ihn das vaterland, burger-
recht und das erbe und, wer kan es alles erzelen ?

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