Brandenburg und Nürnberg gemeinsam
Nun möcht jemand gedenken: Wann dann jemand
stilt oder raubt oder mordet oder andere große und
unleidenliche ubel tut, sol man ihn dann nicht töten ?
Antwort: Ja, er sol getödet werden. Aber Gott
spricht: Du solt nicht töten! Halt du fried und lasse es
ein andern tun! Wer sol es aber tun ? Unser Herr Got
spricht: Las mir die rach! Ich wils vergelten (Deut.
32 [35]; Rom. 12 [12]), das ist: Got der Herr wils
selber tun. Darumb hat er auch weltliche obrigkait
und ambleut eingesetzt, und ihn das schwert geben
und bevolhen, sie sollen die ubelteter strafen. Und
wann sie es tun, so tun sie Got ein gefallen daran und
sind seine diener, wie Sanct Paulus spricht (Hom. 13
[4]): Die obrigkait tregt das schwert nicht umbsonst.
Sie ist Gottis dienerin und ein racherin zur straf uber
den, der böses tut. Darumb, wann die obrigkeit ein
ubelteter mit recht und urteil tötet, so ists eben als
vil, als het ihn Got selbs getötet, dan sie tuns aus
Gottis bevelh und ordnung, wie Sanct Paulus zun
Römern am 13. [1-5] capitel leret.
Darumb, meine liebe kindlein, wann euch schon
jemand gewalt, und unrecht tut, so leidets gedultig-
lich! Tötet niemand! Schlagt niemand! Zürnet nie-
mand! Hadert und zankt mit niemand, sonder be-
velhets Gott dem Herrn, der hat gesprochen [Deut.
32, 35]: Las mir die rach, ich wils vergelten! Du solt
nicht töten!
Und wie ihr vor gehört habt, solt ir weder mit ge-
danken noch worten noch werken töten; dann man
kan ein menschen in mancherlei weis töten als, wann
man ihn mit der tat erwürget wie die mörder im
wald oder, wann ander leut ein erwürgen wöllen und
wir konten ihm helfen und wöllens nicht tun oder,
wann man es gepeut oder rät, das jemand erwürgt
werden sol, oder, wann man etwas von einem andern
sagt, das er darumb erwürget wird, oder, wann man
jemand mit worten erretten kont, das er nicht er-
würgt würde, und schweigt doch stil darzu oder, wann
ein mensch sonst sterben wil und wir helfen ihm
nicht, sonder lassen ihn erhungern, erfrieren, ertrin-
ken oder verprinnen oder, wan wir mit einem zürnen
und ihm feind werden, daß wir ihm nichts guts gün-
nen, sonder gonnen und wunschen ihm böses, also
das, wann es ihm war würd, er auch sterben müst.
Sehet da, meine liebe kindlein, das alles haist ge-
tötet; dann dardurch wird ein mensch schuldig an
seins nechsten tod.
Und auf das ihrs ja wol versteht, so merkt mit
allem fleis: wo zorn, neid und haß ist, da ist auch
das töten. Tötet man mit der hand nicht, so tötet
man aber mit bösen worten, und tötet man mit den
worten nicht, so tötet man aber mit den gedanken
im herzen; dann wo zorn, neid oder haß im herzen
ist, daselbst ist gewißlich auch das töten. Dann
gleich wie das feur schaden tut, wo es angeht und
lest ihm nicht mer leichtlich weren. Also auch neid,
haß und zorn, wann sie beweget und angezundt wer-
den, tun sie oft größern schaden, dann der mensch
im sinn gehabt hat. Ja, sie bewegen auch wol ein
menschen, das er ein ubel tut, das er vor sein leben
lang nie im sinn gehabt hat, und ihm darnach von
herzen laid ist. Und kompt also alles töten aus neid,
haß und zorn. Darumb spricht der heilig Johannes
in seiner epistel (1. Jo. 3. [15]): Wer seinen bruder
hasset, der ist ein todschleger.
Also könt ir nun, meine liebe kindlein, fein ver-
stehn, wie Christus die gepot auslegt; dann er spricht
[Matth. 5, 22]: Wer mit seinem bruder zürnt, der ist
des gerichts schuldig. Dann zürnen ist nichts anders
dann töten mit dem herzen. Nun spricht aber Gottis
gepot: Du solt nicht töten.
Weiter spricht Christus: Wer zu seinen bruder
sagt: Racha, das ist: wer zorniglich gegen ihm mur-
ret, das mans an seiner stim und an seinen geber-
den merkt, das er mit ihm zürnet, der ist schuldig
des rats. Wer aber sagt: Du narr, der ist des helli-
schen feurs schuldig [Matth. 5, 22]. Und in diesen
worten leret uns unser lieber Herr Christus, das man
den nechsten auch mit worten tötet, wann man so
zorniglich mit ihm redet, das man wol merken kan,
das man ihm von herzen feind ist. Und noch vil mehr,
wann man ihn schendet und schmehet und macht
darmit, das ihn ander leut auch verachten und ihm
feind werden. Auch leret er uns den zorn Gottis und
die ernstlichen straf erkennen, die hie zeitlich und
dort ewiglich uber uns gehn sollen, wann wir die ge-
pot verachten und nicht halten; dann er spricht:
Nicht allein, der da tötet, sonder auch, der da nur
zürnet, der ist des gerichts schuldig, das ist: er tut
ein solche sund, darumb man ihn für gericht solt
füren und ein straf uber ihn gen lassen.
222
Nun möcht jemand gedenken: Wann dann jemand
stilt oder raubt oder mordet oder andere große und
unleidenliche ubel tut, sol man ihn dann nicht töten ?
Antwort: Ja, er sol getödet werden. Aber Gott
spricht: Du solt nicht töten! Halt du fried und lasse es
ein andern tun! Wer sol es aber tun ? Unser Herr Got
spricht: Las mir die rach! Ich wils vergelten (Deut.
32 [35]; Rom. 12 [12]), das ist: Got der Herr wils
selber tun. Darumb hat er auch weltliche obrigkait
und ambleut eingesetzt, und ihn das schwert geben
und bevolhen, sie sollen die ubelteter strafen. Und
wann sie es tun, so tun sie Got ein gefallen daran und
sind seine diener, wie Sanct Paulus spricht (Hom. 13
[4]): Die obrigkait tregt das schwert nicht umbsonst.
Sie ist Gottis dienerin und ein racherin zur straf uber
den, der böses tut. Darumb, wann die obrigkeit ein
ubelteter mit recht und urteil tötet, so ists eben als
vil, als het ihn Got selbs getötet, dan sie tuns aus
Gottis bevelh und ordnung, wie Sanct Paulus zun
Römern am 13. [1-5] capitel leret.
Darumb, meine liebe kindlein, wann euch schon
jemand gewalt, und unrecht tut, so leidets gedultig-
lich! Tötet niemand! Schlagt niemand! Zürnet nie-
mand! Hadert und zankt mit niemand, sonder be-
velhets Gott dem Herrn, der hat gesprochen [Deut.
32, 35]: Las mir die rach, ich wils vergelten! Du solt
nicht töten!
Und wie ihr vor gehört habt, solt ir weder mit ge-
danken noch worten noch werken töten; dann man
kan ein menschen in mancherlei weis töten als, wann
man ihn mit der tat erwürget wie die mörder im
wald oder, wann ander leut ein erwürgen wöllen und
wir konten ihm helfen und wöllens nicht tun oder,
wann man es gepeut oder rät, das jemand erwürgt
werden sol, oder, wann man etwas von einem andern
sagt, das er darumb erwürget wird, oder, wann man
jemand mit worten erretten kont, das er nicht er-
würgt würde, und schweigt doch stil darzu oder, wann
ein mensch sonst sterben wil und wir helfen ihm
nicht, sonder lassen ihn erhungern, erfrieren, ertrin-
ken oder verprinnen oder, wan wir mit einem zürnen
und ihm feind werden, daß wir ihm nichts guts gün-
nen, sonder gonnen und wunschen ihm böses, also
das, wann es ihm war würd, er auch sterben müst.
Sehet da, meine liebe kindlein, das alles haist ge-
tötet; dann dardurch wird ein mensch schuldig an
seins nechsten tod.
Und auf das ihrs ja wol versteht, so merkt mit
allem fleis: wo zorn, neid und haß ist, da ist auch
das töten. Tötet man mit der hand nicht, so tötet
man aber mit bösen worten, und tötet man mit den
worten nicht, so tötet man aber mit den gedanken
im herzen; dann wo zorn, neid oder haß im herzen
ist, daselbst ist gewißlich auch das töten. Dann
gleich wie das feur schaden tut, wo es angeht und
lest ihm nicht mer leichtlich weren. Also auch neid,
haß und zorn, wann sie beweget und angezundt wer-
den, tun sie oft größern schaden, dann der mensch
im sinn gehabt hat. Ja, sie bewegen auch wol ein
menschen, das er ein ubel tut, das er vor sein leben
lang nie im sinn gehabt hat, und ihm darnach von
herzen laid ist. Und kompt also alles töten aus neid,
haß und zorn. Darumb spricht der heilig Johannes
in seiner epistel (1. Jo. 3. [15]): Wer seinen bruder
hasset, der ist ein todschleger.
Also könt ir nun, meine liebe kindlein, fein ver-
stehn, wie Christus die gepot auslegt; dann er spricht
[Matth. 5, 22]: Wer mit seinem bruder zürnt, der ist
des gerichts schuldig. Dann zürnen ist nichts anders
dann töten mit dem herzen. Nun spricht aber Gottis
gepot: Du solt nicht töten.
Weiter spricht Christus: Wer zu seinen bruder
sagt: Racha, das ist: wer zorniglich gegen ihm mur-
ret, das mans an seiner stim und an seinen geber-
den merkt, das er mit ihm zürnet, der ist schuldig
des rats. Wer aber sagt: Du narr, der ist des helli-
schen feurs schuldig [Matth. 5, 22]. Und in diesen
worten leret uns unser lieber Herr Christus, das man
den nechsten auch mit worten tötet, wann man so
zorniglich mit ihm redet, das man wol merken kan,
das man ihm von herzen feind ist. Und noch vil mehr,
wann man ihn schendet und schmehet und macht
darmit, das ihn ander leut auch verachten und ihm
feind werden. Auch leret er uns den zorn Gottis und
die ernstlichen straf erkennen, die hie zeitlich und
dort ewiglich uber uns gehn sollen, wann wir die ge-
pot verachten und nicht halten; dann er spricht:
Nicht allein, der da tötet, sonder auch, der da nur
zürnet, der ist des gerichts schuldig, das ist: er tut
ein solche sund, darumb man ihn für gericht solt
füren und ein straf uber ihn gen lassen.
222