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Wolgast, Eike [Editor]; Seebaß, Gottfried [Editor]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Editor]; Kirchenrechtliches Institut der Evangelischen Kirche in Deutschland [Editor]; Sehling, Emil [Bibliogr. antecedent]
Die evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahrhunderts (11. Band = Bayern, 1. Teil): Franken: Markgrafschaft Brandenburg-Ansbach-Kulmbach - Reichsstädte Nürnberg, Rothenburg, Schweinfurt, Weissenburg, Windsheim - Grafschaften Castell, Rieneck und Wertheim - Herrschaft Thüngen — Tübingen: J.C.B. Mohr (Paul Siebeck), 1961

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https://doi.org/10.11588/diglit.30627#0251
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III 4b Kinderpredigten 1533

wunnen. Höret er dich nicht, so nim noch ein oder
zwen zu dir, auf das alle sach bestehe auf zweier
oder dreier zeugen munde! Höret er dich nicht, so
sage es der gemeinde! Höret er die gemeine nicht,
so halt ihn als ein haiden!
Das ist, meine liebe kindlein, die recht weis, von
ander leut sunden zu reden. Und wer ihm nicht also
tun wil, der sol stil schweigen; dann es bringt doch
kein nutz, sonder eitel ergernus und schaden.
Und ist nicht genug, das wir uns für unser person
also halten, sonder wir sollen auch andern leuten
nicht ursach darzu geben, das sie anderst handeln,
dann wie ihr jetzo gehört habt, das ist: wir sollen
nicht darzu helfen noch raten. Wann es aber ja von
andern leuten geschicht, so sollen wir uns doch das-
selb nicht lassen gefallen, sonder sollen saur darzu
sehen, und sie freundlich und ernstlich darumb stra-
fen.
Also solt ihr nun dis gepot verstehn, meine liebe
kindlein, das uns darin verpoten sei, das wir mit
allem fleis sollen meiden alles liegen und triegen und
alle andere schedlich wort, darmit man dem nech-
sten sein ehr abschneidet oder zank und hader an-
richtet, es sei gleich vor gericht oder an andern orten.
Wir sollen auch nicht argwönisch sein, das wir un-
serm nechsten sein wort und werk ubel auslegen oder
sunst seine geprechen und fel auspraiten und aus-
schreien, sonder sollen die warheit. zu der ehr Gottis
und nutz des nechsten alzeit reden und bekennen
und jederman alle ehr und alles guts nachsagen, frid
und ainigkeit allenthalben fürdern, alle ding zum
besten auslegen und des nechsten sund und ge-
prechen, wann wirs nicht hailen können, zudecken
und tragen.
Dann das ist die mainung und der recht verstand
dises achten gepots, das man Gott den Herrn uber
alle ding sol förchten und lieben, das wir umb seinen
willen unsern nechsten nicht felschlich beliegen, ver-
raten, afterreden oder bösen leumut machen, sonder
ihn entschuldigen, guts von ihm reden und alles zum
besten keren.
Darumb, meine liebe kindlein, merkts mit fleis
und wann man euch fraget:
Wie verstestu das acht gepot ?
1 = Befugnis, Anstand, Zuständigkeit (Schmeller
1,1475).

so solt ihr also antworten:
Wir sollen Gott den Herrn uber alle ding förchten
und lieben, daß wir umb seinen willen unserm nech-
sten nicht felschlich beflegen, verraten, afterreden
oder bösen leumut machen, sonder ihn entschuldigen
und guts von ihm reden und alles zum besten keren.
Die neunt predig.
Auslegung des IX. und X. gepots
Nun habt ihr am nechsten gehört, wie ihr das acht
gepot verstehn solt, darin wir lernen, wie wir uns
gegen unsers nechsten ehr und glimpf1 sollen hal-
ten, das wir kein falsch zeugnus wider ihn geben
noch sonst felschlich oder unordenflch nachreden,
sonder guts von ihm sagen, ihn entschuldigen und
alles zum besten auslegen sollen.
Nun ist es aber nicht genug, wan wir schon die
vorigen gepot eußerlich im werk alle halten und
unserm nechsten gleich weder an seinem leib noch
an seinem gemahel noch an seinem gut noch an sei-
nen ehren kein schaden tun, sonder wir sein und blei-
ben dannoch sünder und müsten alle verdambt wer-
den, wann Got nach seiner gerechtigkeit mit uns
wolt handeln und nicht nach der barmherzigkeit.
Darumb, auf das wir solchs wol verstehn lernen, so
volgen nun die letzten zwei gepot, nemlich das neunt
und zehent. Die lauten also:
Du solt dich nicht lassen gelusten deines nech-
sten haus! Du solt dich nicht lassen gelusten dei-
nes nechsten weibs noch seines knechts noch sei-
ner magd noch seines ochsen noch seines esels
noch alles, das dein nechster hat!
Und dise zwei gepot leren uns nun fein erkennen,
das nicht allein die eußerlichen bösen werk und wort
sund sein, sonder auch die inwendigen naigung, be-
gird und lüste des herzen, der niemand ledig ist, son-
der werden uns in muterleib angeporn.
Darumb solt ihr, meine liebe kindlein, das mit
allem fleis merken und wol in das herz bilden, das
gelusten sund ist, und alle menschen auf erden, auch
die kindlein in muterleib sein nicht on lust. Darumb
sein wir auch alle sunder, und niemand ist unschul-
dig vor Got, wie Paulus spricht (Rom. 3 [23]): Sie

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