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Wolgast, Eike [Hrsg.]; Seebaß, Gottfried [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Kirchenrechtliches Institut der Evangelischen Kirche in Deutschland [Hrsg.]; Sehling, Emil [Begr.]
Die evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahrhunderts (11. Band = Bayern, 1. Teil): Franken: Markgrafschaft Brandenburg-Ansbach-Kulmbach - Reichsstädte Nürnberg, Rothenburg, Schweinfurt, Weissenburg, Windsheim - Grafschaften Castell, Rieneck und Wertheim - Herrschaft Thüngen — Tübingen: J.C.B. Mohr (Paul Siebeck), 1961

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https://doi.org/10.11588/diglit.30627#0278
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Brandenburg und Nürnberg gemeinsam

sagt oder gelert hette, als wann einer wolt glauben,
wann er mutwilliglich in ein wasser fiele, Gott würd
ihn dannoch erretten, das er nicht ertrunke; dann
das were ein versuchung Gottis und ein große sund,
die gewißlich vom Teufel herkompt, wie man dar-
bei wol merkt, das der Teufel Christum unsern lie-
ben Herrn auch also versuchet, da er ihn zu Jeru-
salem auf den tempel gefurt het und sprach: Bistu
Gottis Son, so fall da hinab! Aber Christus wolts
nicht tun, sonder antwortet und sprach: Es steht
geschrieben: Du solt Gott dein Herrn nicht ver-
suchen (Heut. 6 [16]; Mat. 4 [5ff]).
Nun hat uns Gott in allerlei unsern nöten väter-
liche und reichliche zusagung geton, daran wir sollen
glauben und in in unserm gepet daran manen, das
ers halte und uns geben wöll, was er uns zugesagt.
hat, und sonderlich in disem stuck hat er uns ein
fein, freundlich und miltes zusagen geton, das uns
nicht allein zum ewigen leben dienet, sonder auch
zum zeitlichen frid, rue und einigkeit und zu rech-
ter brüderlicher liebe. Das lautet also, Matthei am
6. [14f.]: Wann ihr dem menschen ihre fel vergebt,
so wird euch euer himlischer Vater euere fel auch
vergeben. Wann ihr aber den menschen ihre fel nicht
vergebt, so wird euch euer Vater euere fel auch nicht
vergeben.
Und umb dises zusagens willen, meine liebe kind-
lein, hat uns Christus, unser lieber Herr, also geleret
peten: Vergib uns unser schuld als auch wir vergeben
unsern schuldigern! Dann es wer nicht recht, wann
wir peten, Got solt uns unser schuld vergeben, und
wir wolten doch andern leuten nicht vergeben, was
sie wider uns geton hetten. Es würd auch Got ein
solchs gepet nicht erhören; dann was wir für ursach
haben, darumb wir andern leuten nicht verzeihen
wöllen, so hat Gott dargegen eben dieselbigen ur-
sach und noch vil mehr, das er uns auch nicht ver-
zeihe. Es ist auch nicht möglich, das ein mensch
glauben kan, das ihm Gott sein sund vergebe wann
er selbs andern leuten nicht verzeihen will. Darumb,
wann ihm Gott sein sund schon vergeben wolt, so
keret er doch wider umb umb solcher untreu und un-
glaubens willen, wie uns Christus fein angezeigt hat
in dem exempel, Matthei am achtzehenden [21-35],
Da der knecht, dem sein schuld nachgelassen war,
seinen mitknecht die schuld nicht auch nachlassen

wolt, da must er alles wider bezalen, was man ihm
vor nachgelassen und geschenkt hette.
Darumb, meine liebe kindlein, lernets bei zeit von
jugent auf, das ihr gern vergebt und verzeihet allen
denen, die euch belaidigen, und seit nicht rachgirig,
so wirt euch Gott, euer himlischer Vater, auch ver-
zeihen! Zürnt mit niemand! Zürnet ihr aber, so sun-
digt nicht und last die sonnen nicht untergehn über
euern zorn (Eph. 4 [26])!
Dann unser lieber Herr Gott hats uns nicht zu
einem nachtail geton, das er gesagt hat, er wölle uns
nicht vergeben, wir vergeben dan andern leuten
auch; wann wir aber andern leuten ihre feil ver-
geben, so wöll er uns auch vergeben. Sonder er hats
uns zu gut geton und ist ein sonderlicher, haimlicher
trost darin verporgen. Den merkt mit fleis, so werd
ir Gottis güte und väterliche barmherzigkeit darin
erkennen: dann er waist wol, das es unserm herzen
schwer ist, wann wir gesundigt und Got belaidigt
haben, das wir sollen glauben, das er uns dasselbig
umbsonst aus lauter gnaden verzeihen wölle. Dar-
umb hat er uns das zeichen daran gehenkt, darbei
wirs erkennen sollen, das er uns verzeihe, nemlich:
wann wir andern leuten auch verzeihen. Dann es
ist vil leichter, andern leuten verzeihen, dann glau-
ben, das Gott uns unser sund verzeihe, wie wol es
auch schwer ist. Darumb sollen wir uns mit fleis dar-
zu uben, das wir gern verzeihen. So können wir als
dann vil dester leichter glauben, das uns unser Herr
Gott unser sund auch verzeihe; dann er ist doch ja
barmherziger und gütiger dann wir sein.
Es dienet auch nicht allein zum glauben, sonder
auch zum zeitlichen frid, rue und einigkeit und zu
brüderlicher liebe. Dann wann wir einander nicht
wolten verzeihen, sonder ein jedlicher weg suchen,
wie er sich möcht rechen mit listen, mit gewalt oder
mit recht, so wurd des betriegens, schlagens und
rechtens so vil in der welt werden, das niemand kein
frid noch rue in der welt wurd haben. Das were uns
aber verderblich an seel und leib, ehr und gut, wie
mans fein erferet; dann es rechtet oft einer umb
zwen oder drei gulden, bis es ihn wol zwainzig oder
dreißig kostet, und gewint dannoch zuletst nichts.
So maint oft ainer, er wölle einem andern ein wun-
den schlagen, und wird er selbs darüber gar erwürget
und felt darzu in Gottis zorn. Darumb ist es vil pes-

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