III 4 b Kinderpredigten 1533
schnel und unversehens daher geflogen, das wir
selbs nicht wissen, woher oder aus was ursach sie
kommen. Solche böse gedanken sein gewißlich vom
Teufel; dann der Teufel ist ein Gaist, den wir weder
greifen noch sehen konnen. Er aber kan uns böse
gedanken in unserem herzen verursachen, das wir
nicht wissen, woher sie kommen. Ja, wann uns unser
flaisch oder die welt anfichtet, so kompt er auch dar-
zu und sterkt dieselben anfechtung, also das es uns
saur und schwer wird, das wir uns der anfechtung
erweren und nicht unrecht tun.
Und dise anfechtung und versuchung alle mit ein-
ander, meine liebe kindlein, sein wider Gottis gepot.
Darumb lernet die anfechtung darbei kennen, wann
euch etwas in euer sinn und gedanken kompt, das
ihr tun solt wider Gottis gepot, so ist es ein anfech-
tung oder versuchung. Darumb solt ihrs nicht tun,
sonder ihr solt Gott bitten umb gnad und hilf, das
ihr euch desselben mögt erweren.
Dann darin steht ein christlichs, unstreflichs,
heiligs leben, das, wie uns die sund durch Christum
vergeben ist, also sollen wir uns auch weren, das wir
kain sund mer tun. Dann was were das für ein wüstes
unchristlichs leben, wann wir bekenneten, das die
sund unrecht ist und beten Gott, das er uns die sund
verzeihen wolt, und er tets auch, und wir wolten dan-
noch nicht aufhören zu sünden ?
Wir könnens auch wol tun, wann wir nur recht
glauben und ernstlich bitten. Dan im glauben lernen
wir, das wir von uns selbs nicht heilig from und rain
sein, sonder Gott der Heilig Gaist muß uns heilig,
from und rain machen. Wann wir nun das festiglich
glauben, so sollen wir auch ernstlich darumb pitten,
nemlich also: Lieber Herr, himelischer Vater, füre
uns nicht in versuchung! So wirt uns Gott erhörn
und in der versuchung erhalten.
Dann das müssen wir uns in disem leben erwegen2,
das wir kain rue noch frid vor den anfechtungen wer-
den haben, sonder es wird immer aine nach der an-
dern daher fallen. Und wann wir aine uberwunden
haben, so wirt ein andre da sein, die noch größer
ist. Darumb pitten wir nicht: Lieber Herr, hime-
hscher Vater, laß uns kain versuchung kommen! son-
der wir bitten allein, daß er uns nicht darein füre.
2 = verzichten auf etwas (Schmeller 2, 872).
Das haist aber in versuchung gefürt, wann Got
verhengt, das die anfechtung so stark wirt, daß wir
sie nicht uberwinden konnen, sonder lassen uns
den Teufel also betriegen und blenden, daß wir nichts
nichts dann nur eitel nutz und wollust an der sund
sehen, dargegen aber Gottis zorn und die straf gar
nicht sehen, also daß wir uns lassen bedunken, es
dörf kains bedenkens mer, sonder es sei schlechts,
on alles hinder-sich-sehen zu tun, und bewilligen also
in die versuchung und in die sunde. Das haist dann
in die versuchung gefürt. Gleich wie wir sonst spre-
chen, der hat mich in ein unglück gefürt, das ist;
er hat gemacht, das ich mich drein begeben hab.
Auf das wir aber ja in kain versuchung gefürt wer-
den, so sollen wir Got fleißig darfür pitten, wie uns
Christus allhie gelert und bevolhen hat.
Also sehet ihr, meine liebe kindlein, wie es ein ge-
stalt hat umb unser zeitlichs, zergenglichs leben. Es
ist voller pöser anfechtung. Aber wir sollen solchen
anfechtungen nicht volgen, sonder ihn widerstand
tun und from sein. Das können wir aber nicht, es
mach uns dann der Heilig Gaist selbs heilig, from
und rain. Darumb sollen wir Gott fleißig bitten, das
er uns sein Heiligen Gaist wöll geben und uns lassen
heiligen, das wir aller böser anfechtung und ver-
suchung widerstehn und sein heilige götliche gepot
mögen halten.
Und das ist nun die mainung und der einfeltig
recht verstand diser sechsten bitt, nemlich: Gott
versucht zwar niemand. Aber wir bitten in disem
gepet, das uns Gott wöll behüten und erhalten, auf
das uns der Teufel, die welt und unser flaisch nicht
betriege und verfüre in mißglauben, verzweifeln
oder andere große schand und laster und, ob wir
damit angefochten werden, das wir doch entlich ge-
winnen und den sig behalten.
Darumb meine liebe kindlein, merkts mit fleis und
wann man euch fraget:
Wie verstestu die sechsten bitt ?
so solt ihr also antworten:
Got versucht zwar niemand. Aber wir bitten in
disem gepet, das uns Gott wöll behüten und erhal-
ten, auf das uns der Teufel, die welt und unser flaisch
nicht betriege und verfüre in mißglauben, verzwei-
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schnel und unversehens daher geflogen, das wir
selbs nicht wissen, woher oder aus was ursach sie
kommen. Solche böse gedanken sein gewißlich vom
Teufel; dann der Teufel ist ein Gaist, den wir weder
greifen noch sehen konnen. Er aber kan uns böse
gedanken in unserem herzen verursachen, das wir
nicht wissen, woher sie kommen. Ja, wann uns unser
flaisch oder die welt anfichtet, so kompt er auch dar-
zu und sterkt dieselben anfechtung, also das es uns
saur und schwer wird, das wir uns der anfechtung
erweren und nicht unrecht tun.
Und dise anfechtung und versuchung alle mit ein-
ander, meine liebe kindlein, sein wider Gottis gepot.
Darumb lernet die anfechtung darbei kennen, wann
euch etwas in euer sinn und gedanken kompt, das
ihr tun solt wider Gottis gepot, so ist es ein anfech-
tung oder versuchung. Darumb solt ihrs nicht tun,
sonder ihr solt Gott bitten umb gnad und hilf, das
ihr euch desselben mögt erweren.
Dann darin steht ein christlichs, unstreflichs,
heiligs leben, das, wie uns die sund durch Christum
vergeben ist, also sollen wir uns auch weren, das wir
kain sund mer tun. Dann was were das für ein wüstes
unchristlichs leben, wann wir bekenneten, das die
sund unrecht ist und beten Gott, das er uns die sund
verzeihen wolt, und er tets auch, und wir wolten dan-
noch nicht aufhören zu sünden ?
Wir könnens auch wol tun, wann wir nur recht
glauben und ernstlich bitten. Dan im glauben lernen
wir, das wir von uns selbs nicht heilig from und rain
sein, sonder Gott der Heilig Gaist muß uns heilig,
from und rain machen. Wann wir nun das festiglich
glauben, so sollen wir auch ernstlich darumb pitten,
nemlich also: Lieber Herr, himelischer Vater, füre
uns nicht in versuchung! So wirt uns Gott erhörn
und in der versuchung erhalten.
Dann das müssen wir uns in disem leben erwegen2,
das wir kain rue noch frid vor den anfechtungen wer-
den haben, sonder es wird immer aine nach der an-
dern daher fallen. Und wann wir aine uberwunden
haben, so wirt ein andre da sein, die noch größer
ist. Darumb pitten wir nicht: Lieber Herr, hime-
hscher Vater, laß uns kain versuchung kommen! son-
der wir bitten allein, daß er uns nicht darein füre.
2 = verzichten auf etwas (Schmeller 2, 872).
Das haist aber in versuchung gefürt, wann Got
verhengt, das die anfechtung so stark wirt, daß wir
sie nicht uberwinden konnen, sonder lassen uns
den Teufel also betriegen und blenden, daß wir nichts
nichts dann nur eitel nutz und wollust an der sund
sehen, dargegen aber Gottis zorn und die straf gar
nicht sehen, also daß wir uns lassen bedunken, es
dörf kains bedenkens mer, sonder es sei schlechts,
on alles hinder-sich-sehen zu tun, und bewilligen also
in die versuchung und in die sunde. Das haist dann
in die versuchung gefürt. Gleich wie wir sonst spre-
chen, der hat mich in ein unglück gefürt, das ist;
er hat gemacht, das ich mich drein begeben hab.
Auf das wir aber ja in kain versuchung gefürt wer-
den, so sollen wir Got fleißig darfür pitten, wie uns
Christus allhie gelert und bevolhen hat.
Also sehet ihr, meine liebe kindlein, wie es ein ge-
stalt hat umb unser zeitlichs, zergenglichs leben. Es
ist voller pöser anfechtung. Aber wir sollen solchen
anfechtungen nicht volgen, sonder ihn widerstand
tun und from sein. Das können wir aber nicht, es
mach uns dann der Heilig Gaist selbs heilig, from
und rain. Darumb sollen wir Gott fleißig bitten, das
er uns sein Heiligen Gaist wöll geben und uns lassen
heiligen, das wir aller böser anfechtung und ver-
suchung widerstehn und sein heilige götliche gepot
mögen halten.
Und das ist nun die mainung und der einfeltig
recht verstand diser sechsten bitt, nemlich: Gott
versucht zwar niemand. Aber wir bitten in disem
gepet, das uns Gott wöll behüten und erhalten, auf
das uns der Teufel, die welt und unser flaisch nicht
betriege und verfüre in mißglauben, verzweifeln
oder andere große schand und laster und, ob wir
damit angefochten werden, das wir doch entlich ge-
winnen und den sig behalten.
Darumb meine liebe kindlein, merkts mit fleis und
wann man euch fraget:
Wie verstestu die sechsten bitt ?
so solt ihr also antworten:
Got versucht zwar niemand. Aber wir bitten in
disem gepet, das uns Gott wöll behüten und erhal-
ten, auf das uns der Teufel, die welt und unser flaisch
nicht betriege und verfüre in mißglauben, verzwei-
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