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Wolgast, Eike [Editor]; Seebaß, Gottfried [Editor]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Editor]; Kirchenrechtliches Institut der Evangelischen Kirche in Deutschland [Editor]; Sehling, Emil [Bibliogr. antecedent]
Die evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahrhunderts (12. Band = Bayern, 2. Teil): Schwaben: Reichsstädte Augsburg, Dinkelsbühl, Donauwörth, Kaufbeuren, Kempten, Lindau, Memmingen, Nördlingen, Grafschaft Oettingen-Oettingen — Tübingen: J.C.B. Mohr (Paul Siebeck), 1963

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https://doi.org/10.11588/diglit.30628#0027
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schaftlichen Verhältnisse stark durch die Schweiz und ihre freiheitlichen Verfassungen beeinflußt
waren. In den schwäbischen Reichsstädten besaßen zumeist die Zünfte und damit unmittelbar die Ge-
meinde einen ganz anderen Einfluß als in den fränkischen Reichsstädten, wo das Patriziat fast allein
regierte. Das wirkte sich dann auch in den kirchlichen Entscheidungen der Gemeindeleitung, des Rates
aus. Für die Beurteilung dieses Eingreifens der Obrigkeit muß freilich bewußt bleiben, daß sich damals
kirchliche und politische Gemeinde völlig deckten und daß daher die von der Gemeinde gewählte bürger-
liche Obrigkeit zugleich auch das ebenso zustandegekommene Organ der kirchlichen Gemeinde war. Nicht
der Staat handelte also in solchen Fällen, sondern die christliche Gemeinde. Wenn das schon überhaupt
bei der Beurteilung der evangelischen Kirchenverfassungen der Reformation beachtet werden muß, gilt es
doppelt bei denen Schwabens. Hier war schon die spätmittelalterliche Stadt als Kollektivindividuum
eine sakrale Gemeinschaft, ein corpus christianum im Kleinen26. Und jetzt war es erst recht die christ-
liche Gemeinde, die hier handeln wollte im Überschwang ihrer Freude darüber, daß sie der ,,Babyloni-
schen Gefangenschaft“ entronnen war, die aber noch nicht ahnte, welche Gefahren auf diesem Wege
drohten, und so leicht zu einer Überbetonung des genossenschaftlichen Wesens der Kirche gegenüber
ihrem Stiftungscharakter kommen konnte.
Kennzeichnend für diesen Geist, der sich dann in den schwäbischen Kirchenordnungen auswirkte,
ist die Unbekümmertheit um liturgische Gleichförmigkeit, was ja nicht mit Mangel an liturgischer
Formungskraft verwechselt werden darf, und ein dafür um so stärker hervortretendes Drängen auf Be-
währung des evangelisch verstandenen christlichen Glaubens im Alltag. Dazu gehören dann nicht nur
die verschiedenen Zuchtordnungen21, sondern auch die wiederholt zu Beginn der Abendmahlshand-
lung ausgesprochenen Warnungen vor unwürdigem Genuß und ebenso die bei allerlei Gelegenheiten am
Schluß erfolgende Ermahnung, der Armen zu gedenken.
Das zeigte sich besonders auf dem in dieser Hinsicht bedeutsamen oberdeutschen Städtetag in Mem-
mingen vom 26. Februar bis 1. März 1531. Hier trafen sich unter dem Vorsitz von Ambrosius Blarer in
Konstanz Abgesandte von Biberach, Isny, Konstanz, Lindau und Ulm. Reutlingen und Straßburg hatten
ausführliche Schreiben gesandt28,
Der Schmalkaldische Bund hatte auf Drängen von Brandenburg-Nürnberg in seinem Bündnisent-
wurf vom 31. Dezember 1530 unter anderem auch angeregt, zu überlegen, wie man eine einheitliche Kir-
chenordnung schaffen und öffentliche Sünden und Laster geistlich und zeitlich strafen möchte29, Das
erstere lehnten die Versammelten sofort ab. Trotzdem leisteten sie auch da einen wesentlichen Beitrag zu
einer einheitlichen Gestaltung gottesdienstlicher Formen: sie empfahl nämlich, die Taufe im allgemeinen
nur im Gemeindegottesdienst in Anschluß an die Predigt vorzunehmen, ein Vorschlag, der dann auch
im ganzen schwähischen Raum Annahme fand. Beim anderen Punkt aber, bei der Zuchtordnung, be-
gnügte sie sich nicht mit einer bloßen Zustimmung. Hier legte sie gleich auch eine ausführliche Zucht-
ordnung vor. Deutlicher konnte nicht zum Ausdruck kommen, daß die Herzen der schwäbischen Refor-
matoren nicht für Liturgik, umso heißer aber für gelebte Ethik schlugen. Es ist aber auch bezeichnend, daß
28 Bernd Moeller, Reichsstadt und Reformation (= Schriften des Vereins für Reformationsgeschichte 180). Güters-
loh 1962. ldf.
27 Man darf diese Zuchtordnungen aber auch wieder nicht überhaupt als schweizerische Eigenart betrachten. Abge-
sehen davon, daß auch fränkische Dorfordnungen der Reformationszeit (vgl. die von Obereisenheim 1579 oder
Billingshausen 1569 in: Sehling 11, 684-692) ähnlichen Charakter tragen, hatte z.B. die Stadt Ansbach schon am
12. Nov. 1430 eine Ordnung erlassen, die, was die weltliche Seite anbetrifft, die meisten der hier berührten Angelegen-
heiten in ähnlicher Weise regelte (Nürnberg Staatsarchiv, Ansbacher Stadtbücher 1 [ 1388-1467] f. 92f.).
28 Dobel 5, 35f. — Jäger 436-488. — Keim, Reformationsgeschichte 255-260. 262f. —; Die Reformation der Reichs-
stadt Ulm. Stuttgart 1851. 212ff. — Theod. Pressel, A. Blarer. Stuttgart 1861. 182ff. -Schieß 1, 239-245. 247f. -
Marte 32f. — Wolfart 1 I 304. — Anrich, Die Ulmer Kirchenordnung von 1531, in: BlwKG 35 (1931) 104.-
Julius Endriß, Das Ulmer Reformationsjahr 1531. 92—94. —Hauß, Zuchtordnung 26. - Vor allem aber Köh-
ler 2, 14—41. 29 Fabian, Bundesabschiede 1530-1532, 3f. — Köhler 2, 15ff.

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