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Wolgast, Eike [Hrsg.]; Seebaß, Gottfried [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Kirchenrechtliches Institut der Evangelischen Kirche in Deutschland [Hrsg.]; Sehling, Emil [Begr.]
Die evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahrhunderts (12. Band = Bayern, 2. Teil): Schwaben: Reichsstädte Augsburg, Dinkelsbühl, Donauwörth, Kaufbeuren, Kempten, Lindau, Memmingen, Nördlingen, Grafschaft Oettingen-Oettingen — Tübingen: J.C.B. Mohr (Paul Siebeck), 1963

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https://doi.org/10.11588/diglit.30628#0047
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lichen verkündeten daher am Sonntag für den 28. Mai/7. Juni das Himmelfahrtsfest. Ehenso befahl der
Rat, daß dieser Tag als Werktag hegangen werden müsse. Außerdem wurde Müller am Montag vom
Mittagtisch weg in eine bereitgehaltene Kutsche geschleppt, damit er so aus der Stadt gebracht würde.
Auf die Rufe der Angehörigen hin zusammengeströmte Evangelische befreiten ihren Pfarrer. Es kam
zu erregten Vorfällen. Müller wurde zunächst in der Stadt versteckt gehalten und am nächsten Tage
von seinen Freunden nach auswärts in Sicherheit gebracht. Am Abend starb seine Frau an einer Fehl-
geburt. Jetzt wagte der Rat doch nicht die evangelischen Himmelfahrtsgottesdienste zu verhindern; er
verlangte nur, daß anschließend die Läden geöffnet wurden. Am 31. Mai nahmen die Evangelischen
auf Anraten der Tühinger Universität schließlich den neuen Kalender an: Pfingsten sollten sie noch
nach dem alten feiern dürfen und die Kirchenpfleger sollten wieder frei werden, ohne aber ihre Ämter
wieder zu erhalten. Das gleichfalls geforderte Recht auf freie Berufung ihrer Prediger wurde den Evan-
gelischen nicht bewilligt. Am 2. Septemher 1585 verlangte der Rat von allen Geistlichen, sie sollten aus-
drücklich auf ihr Berufungsrecht verzichten. Sie weigerten sich dessen vor allem, weil sie unter dem Ein-
druck des Kalenderstreites dem Rat zutrauen konnten, daß er bewußt ungeeignete, ja unwürdige Geist-
liche berufen würde.
Als die evangelischen Geistlichen ihre Ausschaltung bei der Berufung von Geistlichen nicht aner-
kennen wollten, wurden am 8./18. Juli 1586 elf Geistliche (sämtliche mit Ausnahme der zwei von der
Stadt neu berufenen) aus der Stadt gewiesen7.
Die Stadt holte sich neue Geistliche. Lehrstreitigkeiten in anderen Orten, besonders in Nürnberg7 8,
verhalfen ihr dazu. Sie konnte mit ihnen aber nicht viel Ehre einlegen. Die evangelischen Bürger gingen
nach dem damals evangelischen Lützelburg zum Heiligen Abendmahl und bestellten sich sogar eigene
Geistliche, was die Stadt aber immer wieder unterband9. Städtische Angestellte verloren ihre Stellung,
Pächter ihr Pachtgut, wenn sie die Gottesdienste der Geistlichen nicht besuchten10. Die Bürgerschaft aber
beugte sich nicht. Endlich kam es 1591 zu einem Vergleich, den der Kaiser am 10. August 1591 he-
stätigte11. Drei vom Rat aus seiner Mitte bestellte Kirchenpfleger und drei von den Evangelischen dazu
gewählte Adjunkten sollten zusammen mit den Predigern neue Geistliche vorschlagen und prüfen, der Rat
aber sie berufen und einsetzen12. Genau wurden auch die Formen, in denen die einzelnen Stellen mitein-
ander in Pfarrbesetzungsfällen verkehren sollten, festgelegt13. Zugleich erhielt der Amtseid der Geist-
lichen eine neue Fassung14, die anderwärts manche Kritik erfuhr15. Seither gab es in Augsburg auch
keinen Superintendenten mehr16. Schließlich bewies das Ergebnis der im Vertrag gleichzeitig ausge-
machten Prüfungen der im Dienst befindlichen, also durch die Stadt allein bestellten Geistlichen nur allzu
deutlich, wie berechtigt das Mißtrauen der evangelischen Gemeinde gegen den katholischen Rat war.
Nachdem die Hälfte dieser schon vorher von denen, die sie berufen hatten, wieder hatte fortgeschickt wer-
den müssen, mußten jetzt die dazu berufenen Theologieprofessoren Johann Pappus in Straßburg17 und
Nikolaus Selnecker in Hildesheim18, ein volles Drittel der schließlich im Amt befindlichen, als ungeeig-
net verwerfen19.
7 Stetten 1, 659-662. 664-681. 683-691. 693-697. 702. 709. 716. 722ff. - Schiller 75-79. - Radlkofer.
8 Rein 72-92. — Würfel Andr., Diptycha ecclesiae Laurentianae. Nürnberg 1756. 97f.
9 Stetten 1, 702. 10 Stetten 1, 705. 11 Unsere Nr. I 15.
12 Radlkofer 5—12. — Stetten 1, 720ff. 13 Unsere Nr. I 16 a—f. 14 Unsere Nr. I 16 g.
15 Etwa durch das Stattliche Bedenken ausländischer unparteiischer Theologen über der Pfarrer Obligation und Ver-
schreibung 1604 (Augsburg, Stadtarchiv, Evang. Wesensarchiv, Akten 149) oder durch den Regensburger Super-
intendenten Serpilius 1709 (ZbKG 1 [1926] 95).
16 von Seida, Beschreibung 1, 356ff. 17 * 1549 in Lindau, † 1610 (RE 4, 894. — ADB 25, 163f.).
18 * 1530 in Hersbruck b. Nbg. — Seit 1568 mit vielen kürzeren Unterbrechungen zum höheren Dienst in anderen
Landeskirchen, Professor der Theologie in Leipziq, 1589 Superintendent in Hildesheim - † 1592 (RE 5, 418. -
ADB 33, 687-692).
19 Der Bericht der beiden Herren vom 19. Nov. 1591 samt einer Verantwortung von ihnen vom 22. Nov. 1591 in

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