Metadaten

Wolgast, Eike [Hrsg.]; Seebaß, Gottfried [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Kirchenrechtliches Institut der Evangelischen Kirche in Deutschland [Hrsg.]; Sehling, Emil [Begr.]
Die evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahrhunderts (12. Band = Bayern, 2. Teil): Schwaben: Reichsstädte Augsburg, Dinkelsbühl, Donauwörth, Kaufbeuren, Kempten, Lindau, Memmingen, Nördlingen, Grafschaft Oettingen-Oettingen — Tübingen: J.C.B. Mohr (Paul Siebeck), 1963

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.30628#0072
Lizenz: Freier Zugang - alle Rechte vorbehalten
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Augsburg

in demselbigen convent uf sich nemen und zu ver-
sehen anfahen sollen. Es mag ja je die seelsorg und
versehung der herde Christi nimmermer genug
ernstlich bevolhen und verrichtet werden.
Von den predigen.
Auf die sonntäg und feirtag, nachdem sich die
gemain etlichermaßen versamelt hat, solle der vor-
singer anheben, psalmen zu singen bis das gar22
verleutet und die zeit zu predigen da seie. Es solle
auch alle mal, das leste gesang sein vor der predig
Kum, haliger Gaist, oder Nun bitten wir etc.
Und die lection, so man bisher zum Kreuz23 und
zum Barfußen [ !J24 vor der predig aus der bibel dem
volk furgelesen hat25, sol hinfurt absein, damit
gleichhait ahenthalben gehalten werde.
In dem solle der prediger auf die canzel geen und
nach gewonlichen furbeten umb gnad26 ainen text
aus dem heiligen evangelie verlesen; dann uf die
sonntäg solle in den gemainen tagpredigen allweg
kain ander heilige biecher oder schriften dann die
vier evangelium dem volk furgeben werden, in de-
nen dann die ler und werk unsers lieben Herren
Jesu uns des allerheiterst27, vokomest und lieb-
lichestvon dem Hailigen Gaist beschriben und fur-
geben sind.
Und so der text mit aller andacht und tapferkait
gelesen, solle der prediger demnach denselben fur-
gelesnen text auf das einfältigst erkleren und darbei
allweg dem inhalt nach solichs texts allen unglauben
und arges leben mit recht christenhchem und be-
schaidenen eifer strafen und zu dem waren, leben-
digen glauben und volgends zu der liebe, durch die
der glaub alle gute werk wurket, mit höchstem ernst
und treuen vermanen. Und wo etwan besondere
mengel in der kirchen furfallen, das die gemain deren
zu erinnern, zu strafen oder zu trösten ist, sollen die
22 = Ende (Schmeller 1, 929).
23 Die Kirche zum Heiligen Kreuz — und zwar seit Jan.
1537 an der heute katholischen. Die hier genannte
Übung bestand aber natürlich schon vorher am
Predigthaus zum Heiligen Kreuz, der heute evange-
lischen Kirche. Pfarrer war dort seit 1531 Wolfgang
Musculus (Eoth 3, 538).
24 Die Barfüßerkirche. Prediger bzw. Pfarrer war dort
seit 1524 Mich. Keller (Roth 3, 537).
25 Wie aus der S. 65 wiedergegebenen Stelle hervor-
geht, handelte es sich um eine alttestamentliche

prediger solichs frei mit offenlichem furwenden
solichen furgefallnen notdurft tun, wie das dann
ainem getreuen hirten und seelsorger zusteet, und
den furgelesnen text desmals steen lassen, und solhe
notdurftige vermanung, wen die nit gleich aigent-
lich im furgehaltnen text begriffen ist, mit nichten
in den text hineintringen, auf das nicht die, so die
predigen hören, mer dieselbigen zu richten dann
inen daraus etwas guts zu irer verbesserung zu ler-
nen ursach nemen und sagen, man krume und
buege die schrift, wie man welle, und bringe in und
aus ainem text, was einem jeden gefalle.
Und demnach je niemand bas alles guets und das-
selbig auch auf die aller besserlichste weis leren kann
dann der Heilig Gaist selbs, sollen sich die prediger
befleißen, das si die evangelien und auch die andern
schriften, die sie jederzeit dem volk auch gar be-
kannt und gemain machen und nit so lang an ainem
ort steen und dasselbig so vil einfueren, das si etwan
in vil jaren nicht ainen evangelisten oder ain ander
heiliges buch verrichten und vollenden mögen. Dann
aus solichen zu langsamen furfaren und zuvil ein-
fueren wurt der gemain man am verstand der heili-
gen buecher verhindert und mögen dann dero dester
weniger lesen, als die si nit allenthalb doch etlicher
maß versteen könden. Es vermag je der gemain
man nicht, so vil auf ain jeden text behalten noch
der volg, wie alles auf ainander geet, allweg ingedenk
sein, darumb besserlicher ist, das sich die prediger
der weis halten, deren sich die alten hailigen veter
gehalten haben, deren weis sich auch diser zeit fast
alle furnemere und nutzlichere prediger fleißig ge-
brauchen, das sich nemlich das auslegen und er-
kleren der text und das besonder leren und verma-
nen, so aus dem ausgelegten und verklerten text zu
tun ist, von ainander schaiden und allemal ein zim-
lichen text furnemen und auch verrichten uf die
Lektion, die wohl entsprechend der doppelten
Schriftlesung in der Messe eingeführt worden war.
26 Ein stilles, vom Prediger auf der Kanzel kniend ge-
sprochenes Gebet zwischen Textverlesung und Pre-
digtbeginn ist heute noch in den Kirchen der inneren
Stadt Augsburg in Übung. Es wird zweifellos am
einfachsten als Weiterführung eines ähnlichen Brau-
ches im mittelalterlichen Predigtgottesdienst (Sur-
gant f. 69v. - Jungmann 1, 590) verstanden.
27 = deutlich, klar (Schmeller 1, 1187. — Grimm 4
II 923).

56
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften