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Wolgast, Eike [Hrsg.]; Seebaß, Gottfried [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Kirchenrechtliches Institut der Evangelischen Kirche in Deutschland [Hrsg.]; Sehling, Emil [Begr.]
Die evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahrhunderts (12. Band = Bayern, 2. Teil): Schwaben: Reichsstädte Augsburg, Dinkelsbühl, Donauwörth, Kaufbeuren, Kempten, Lindau, Memmingen, Nördlingen, Grafschaft Oettingen-Oettingen — Tübingen: J.C.B. Mohr (Paul Siebeck), 1963

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https://doi.org/10.11588/diglit.30628#0198
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Daß Lindau im Ganzen zwinglisch gerichtet war, versteht sich von selbst12. Die Stadt stand natürlich
in einem besonders nahen Verhältnis zur anderen Reichsstadt am Bodensee, dem schräg gegenüberlie-
genden Konstanz, das im engen Verkehr mit der Schweiz lebte, mit der Lindau auch wieder unmittelbar
Handel und Wandel hatte. So nahm Gaßner auch an der Berner Disputation 1528 teil. Nach seiner
Rückkehr schaffte der Rat die Messe in der Pfarrkirche überhaupt ab. Als sich bilderstürmerische Re-
gungen zeigten, ließ der Rat, dem 1528 das Barfüßerkloster übergeben worden war, Ende März 1530
alle Bilder aus den Kirchen entfernen. Am 15. Juni 1530 wurden sie auf Befehl des Rates zerschlagen
und verbrannt. 1532 verbot der Rat auch zunächst den Besuch der Messe in der Stiftskirche. Am 2. Juli
1534 beschloß er aber, nachdem er sich von Johannes Zwick in Konstanz und Wolfgang Capito in
Straßburg hatte beraten lassen - der Wichtigkeit der Sache wegen unter Beiziehung der Gemeinde so-
wohl in seinem Landgebiet als auch im Damenstift die Messe überhaupt abzuschaffen. So wurden evan-
gelisch Aeschach, Bösenreutin, Leimnau, Reutin, Sigmarszell und Weißenberg.
Für die Form des kirchlichen Lebens in der damaligen Zeit liegt keine feste Ordnung vor. Eine
solche hatte ja der auch von Lindau beschickte Tag zu Memmingen im Februar 1531 abgelehnt. Es darf
angenommen werden, daß durchaus die Konstanzer Übung im Gebrauch war13. Diese aber wieder schloß
sich eng an die Ordnung an, die seit 1526 Ökolampadius in Basel gegeben hatte14. Ihre besondere Eigen-
art war, daß auch die Abendmahlsfeier auf der Kanzel begann und schloß. Die Taufen erfolgten in
einem Gemeindegottesdienst, ,,und das um keiner andern ursach willen dan den tauf wiederumb in sein
recht würde zu bringen... Daneben wirt aber der tauf zu andern zeiten niemand von uns abgeschlagen.“15
Ausführlich ist dagegen eine Zuchtordnung erhalten. Sie wurde erstmals am 23. Februar 1533 und
zum zweitenmal am 6. Juli verkündet16. Ein solcher Versuch war schon 1528 gemacht worden, aber
nicht recht zur Auswirkung gelangt17. Jetzt wurde sie auf Grund des Beschlusses des Städtetages der
oberdeutschen evangelischen Städte in Memmingen vom Februar 1531, an dem auch Gaßner teilgenom-
men hatte18, neu gefaßt und verkündet. Sie hält sich in ihrem sachlichen Bestand ganz eng - und zwar
in einer Weise, die im Laufe des Textes zunimmt - an die Zuchtordnung der Stadt Konstanz vom 5.
April 153119. Und doch liegt ein bedeutsamer Unterschied zwischen beiden Ordnungen vor. Lindau läßt
sehr wesentliche Stücke der Konstanzer Ordnung weg. Sie gehören freilich auch durchaus nicht in den
Rahmen einer Zuchtordnung, sondern befassen sich mit allgemeiner Kirchenordnung (Von beziehung
der ee, von gleichförmiger haltung der gmainen kirchenbrüch, von der leer, vom tauf, von der erwelung
der kirchendiener)20. Sodann aber fehlt in Lindau auch die in einem Einschub des Vorschlags auf dem
Memminger Tag geforderte Beteiligung der Geistlichen und die Mitwirkung der Zuchtherrn an der seel-
sorgerlichen Behandlung solcher Fälle (Von erkiesung etlicher gewalthaber der kirchen und von ihrem
ampt, von versünung und von ausschließung von der kirchen) 21. Sehr rein zeigt sich hier also die
schweizerische Richtung, die mit solchen Ordnungen keine Kirchenzucht, sondern bürgerliche Sitten-
zucht auf religiösem Grund22 aufrichten wollte. Auf alle Fälle offenbart sich in der Lindauer Ordnung
wie in der von Zürich außerordentlich deutlich ein vom lutherischen stark abweichender Kirchenbegriff,
der freilich in der Reformationszeit auch dem Luthertum (vor allem in den Almosenordnungen) nicht
12 Wolfart 1 I 262. 270. 13 Waldenmaier 28f.
14 Waldenmaier 24f. - Smend 213-235.
15 Marte 101. - Entsprechend dem Memminger Vorschlag (Jäger 444).
16 Unsere Nr. VI 1.
17 Wolfart 1 I 266; 2, 301. - Gaßners Brief vom 20. 4. 1534,in: Die Vadianische Briefsammlung der Stadtbiblio-
thek St. Gallen. 4 (= Mitteilungen zur vaterländischen Geschichte 28 [ 1902]) Nr. 765.
18 Vgl. oben Einführung Seite 11 f. 19 Hauß, Zuchtordnung.
20 Hauß, Zuchtordnung 95ff. 100f.
21 aaO. 97-100. - Jäger 480-486.
22 aaO. 26. - Anrich 101f. — Dazu, daß man solche Ordnungen nicht nur als schweizerische und nicht erst als refor-
matorische Erscheinung betrachten darf, vgl. S. 11!

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