I 2 Kirchenordnung von 1543
dann dasselbig meisterlich kan und zu tun pfleget,
wann er uns in großen anfechtungen und unglücken
oder in schneller todsforcht oder in den rechten
todsnöten ergreift.
Darumb sol man das volk unterrichten, das sie
solche verzeihung, entbindung oder absolution bei
iren kirchendienern suchen; dann Christus hat den
gewalt und befelh selbs geben. Darumb wirt der-
selbig warlich kraft haben. So dörfen sie auch dar-
umb, wie vorgemelt, nit alle sünd mit allen irenumb-
stenden erzelen und beichten, als könten die sünde
on solche erzelung nicht vergeben werden. Dann ein
priester kann die sünd, die im verdeckt sein, gleich
so wol an Gottis stat vergeben, als die so im geoffen-
baret werden. Wann der sünder nur sein sünd vor
Got bekennet, bereuet, begert verzeihung und glaubt
festiglich, Christus hab solchen gewalt der christ-
lichen kirchen und iren Dienern hieniden auf erden
gelassen, das, wem sie die sünd vergeben, dem sein
sie vergeben. Er sage nur dem priester sein anfech-
tung, fehl und begern, so ferne er selber wil und wie
in sein gewissen leret und begere, das er in mit Gottis
wort wö] trösten und in kraft des befohlenen ambts
und gewalts, den Christus darzu geben hat, von
seinen sünden entbinden und ledig sprechen, und
sol alsdann, wann er also absolvirt wirt, gar nit
zweifeln, im seind sein sünd als gewißlich vergeben,
als wann Christus die wort der absolution selb in
eigner person gesprochen het; dann Christus, der
uns das zugesagt hat, der kan nicht liegen noch trie-
gen. Darumb sol man sich solchs teuren schatzs ge-
brauchen und sich darmit wider die großen sturm-
wind des Satans rüsten und sterken und sich nicht
zuvil trösten, das uns bedunkt, wir dörfen sein jetzo
nit; dann wann die rechten, ernstlichen und höch-
sten anfechtung des teufels daherfallen, geschicht
uns dises und anders trosts mer not, dann wir jetzo
meinen.
Es sein aber auch wol etlich rohe leut, die sich
diser freiheit inen selbs zu schaden mißbrauchen und
sagen sich wol iren pfarherren in der gemein für
sünder an, aber die gebrechen, darin sie rats bedür-
4 = aufputzen, herausstreichen, bes. im üblen Sinn =
einem zur Last legen, vorwerfen (Schmeller 1,
1707. - Grimm 1, 692f.).
fen, verschweigen sie, daher dann inen nottürftiger
rat nicht mag mitgeteilt werden, die sein zu ver-
manen, das sie sich nicht schemen, solche ire ge-
brechen und fehl im gewissen inen zu eröffnen nach
dem exempel der heiligen als Hiobs, Danielis, Pauli
und andrer mer, die auch ire sonder fehl und sünde
namhaftig machen und offenlich bekennen und
beichten. Dann solche gebrechen bis aufs letst zu
sparen, ist gar ferlich, nachdem der Teufel solche
verhaltene sünd am end aufzumutzen4 pflegt, und
so man dann mit gutem unterricht und trost nicht
gefaßt ist, füret er die leut in verzweiflung, darnach
dann der ewig tod volget, wie vil exempel der alten
väter anzeigen.
Auch sollen die pfarherrn alhie fleißig gewarnet
sein, das sie niemand kein buß (als man nennet) auf-
legen, darmit für die sünd gnug zu tun, dann das
were wider den glauben und wurde das leiden
Christi darmit geschmehet. Sie sollen aber ein jede
person nach irer gelegenheit unterrichten, wie sie ir
leben fürohin mit beten, lernen und anderm irem
tun und lassen ongeferlich zur besserung mögen
anrichten mit dem anzeigen und warnung, wo sie
sich nicht vor sünden hüten und teglich bessern
werden, das das letzte, wie Christus Matthei am 12.
[45] sagt, erger wurde dann das erste. Und Johannis
am 5. [14] spricht er zu dem, den er gesund gemacht
hette: Siehe zu, du bist gesund worden! Sündige fort
nicht mer, auf das dir nicht etwas ergers widerfar!
Solches alles aber soll geschehen allein umb des
nachvolgenden lebens willen und nicht der meinung,
das es ein genugtuung sein sol für die vergangen
sünd, dann dieselbig ist vergeben durch die er-
lösung, so von Christo geschehen ist, welchen Got
hat fürgestelt zu einem gnadenstuol durch den
glauben in seinem blut, damit er die gerechtigkeit,
die vor im gilt, beweisen in dem, das er vergibt die
sünde, die zuvor sein geschehen unter göttlicher ge-
dult, die er trug, das er zu disen zeiten bewise die
gerechtigkeit, die vor im gilt, auf das er allein ge-
recht sei und rechtfertig den, der da ist des glau-
bens an Jesum, Rom. 3 [26],5
Und dieweil die, so zur beicht kommen, nit gleichs
5 Siehe Anm. 3 (S. 57)!
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dann dasselbig meisterlich kan und zu tun pfleget,
wann er uns in großen anfechtungen und unglücken
oder in schneller todsforcht oder in den rechten
todsnöten ergreift.
Darumb sol man das volk unterrichten, das sie
solche verzeihung, entbindung oder absolution bei
iren kirchendienern suchen; dann Christus hat den
gewalt und befelh selbs geben. Darumb wirt der-
selbig warlich kraft haben. So dörfen sie auch dar-
umb, wie vorgemelt, nit alle sünd mit allen irenumb-
stenden erzelen und beichten, als könten die sünde
on solche erzelung nicht vergeben werden. Dann ein
priester kann die sünd, die im verdeckt sein, gleich
so wol an Gottis stat vergeben, als die so im geoffen-
baret werden. Wann der sünder nur sein sünd vor
Got bekennet, bereuet, begert verzeihung und glaubt
festiglich, Christus hab solchen gewalt der christ-
lichen kirchen und iren Dienern hieniden auf erden
gelassen, das, wem sie die sünd vergeben, dem sein
sie vergeben. Er sage nur dem priester sein anfech-
tung, fehl und begern, so ferne er selber wil und wie
in sein gewissen leret und begere, das er in mit Gottis
wort wö] trösten und in kraft des befohlenen ambts
und gewalts, den Christus darzu geben hat, von
seinen sünden entbinden und ledig sprechen, und
sol alsdann, wann er also absolvirt wirt, gar nit
zweifeln, im seind sein sünd als gewißlich vergeben,
als wann Christus die wort der absolution selb in
eigner person gesprochen het; dann Christus, der
uns das zugesagt hat, der kan nicht liegen noch trie-
gen. Darumb sol man sich solchs teuren schatzs ge-
brauchen und sich darmit wider die großen sturm-
wind des Satans rüsten und sterken und sich nicht
zuvil trösten, das uns bedunkt, wir dörfen sein jetzo
nit; dann wann die rechten, ernstlichen und höch-
sten anfechtung des teufels daherfallen, geschicht
uns dises und anders trosts mer not, dann wir jetzo
meinen.
Es sein aber auch wol etlich rohe leut, die sich
diser freiheit inen selbs zu schaden mißbrauchen und
sagen sich wol iren pfarherren in der gemein für
sünder an, aber die gebrechen, darin sie rats bedür-
4 = aufputzen, herausstreichen, bes. im üblen Sinn =
einem zur Last legen, vorwerfen (Schmeller 1,
1707. - Grimm 1, 692f.).
fen, verschweigen sie, daher dann inen nottürftiger
rat nicht mag mitgeteilt werden, die sein zu ver-
manen, das sie sich nicht schemen, solche ire ge-
brechen und fehl im gewissen inen zu eröffnen nach
dem exempel der heiligen als Hiobs, Danielis, Pauli
und andrer mer, die auch ire sonder fehl und sünde
namhaftig machen und offenlich bekennen und
beichten. Dann solche gebrechen bis aufs letst zu
sparen, ist gar ferlich, nachdem der Teufel solche
verhaltene sünd am end aufzumutzen4 pflegt, und
so man dann mit gutem unterricht und trost nicht
gefaßt ist, füret er die leut in verzweiflung, darnach
dann der ewig tod volget, wie vil exempel der alten
väter anzeigen.
Auch sollen die pfarherrn alhie fleißig gewarnet
sein, das sie niemand kein buß (als man nennet) auf-
legen, darmit für die sünd gnug zu tun, dann das
were wider den glauben und wurde das leiden
Christi darmit geschmehet. Sie sollen aber ein jede
person nach irer gelegenheit unterrichten, wie sie ir
leben fürohin mit beten, lernen und anderm irem
tun und lassen ongeferlich zur besserung mögen
anrichten mit dem anzeigen und warnung, wo sie
sich nicht vor sünden hüten und teglich bessern
werden, das das letzte, wie Christus Matthei am 12.
[45] sagt, erger wurde dann das erste. Und Johannis
am 5. [14] spricht er zu dem, den er gesund gemacht
hette: Siehe zu, du bist gesund worden! Sündige fort
nicht mer, auf das dir nicht etwas ergers widerfar!
Solches alles aber soll geschehen allein umb des
nachvolgenden lebens willen und nicht der meinung,
das es ein genugtuung sein sol für die vergangen
sünd, dann dieselbig ist vergeben durch die er-
lösung, so von Christo geschehen ist, welchen Got
hat fürgestelt zu einem gnadenstuol durch den
glauben in seinem blut, damit er die gerechtigkeit,
die vor im gilt, beweisen in dem, das er vergibt die
sünde, die zuvor sein geschehen unter göttlicher ge-
dult, die er trug, das er zu disen zeiten bewise die
gerechtigkeit, die vor im gilt, auf das er allein ge-
recht sei und rechtfertig den, der da ist des glau-
bens an Jesum, Rom. 3 [26],5
Und dieweil die, so zur beicht kommen, nit gleichs
5 Siehe Anm. 3 (S. 57)!
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