Metadaten

Wolgast, Eike [Hrsg.]; Seebaß, Gottfried [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Kirchenrechtliches Institut der Evangelischen Kirche in Deutschland [Hrsg.]; Arend, Sabine [Bearb.]; Sehling, Emil [Begr.]
Die evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahrhunderts (17. Band, 2. Teilband = Baden-Württemberg, 4): Reutlingen, Ulm, Esslingen, Giengen, Biberach, Ravensburg, Wimpfen, Leutkirch, Bopfingen, Aalen — Tübingen: Mohr Siebeck, 2009

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.30657#0052
Lizenz: Freier Zugang - alle Rechte vorbehalten
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Reutlingen

Brief Matthäus Albers von 1526 wurden in diesen Jahren die Umgestaltung des Gottesdienstes, die Aner-
kennung lediglich zweier Sakramente (Taufe und Abendmahl) und die Einrichtung eines Armenkastens in
Angriff genommen.49 Die Reutlinger Kirchenordnung entstand hingegen erst 1531:50 Zum einen setzt der
Text die Ergebnisse des Memminger Städtetages von Ende Februar desselben Jahres voraus,51 zum anderen
erwähnt er, dass die Bildwerke bereits größtenteils aus den Kirchen entfernt worden sind. Da der Rat die
Bilderfrage in den ersten Monaten dieses Jahres angegangen war, dürfte die Kirchenordnung von Frühjahr
oder Sommer 1531 datieren.52
Die Reutlinger Kirchenordnung beschäftigt sich in weiten Teilen mit dem administrativen Aufbau des
reichsstädtischen Kirchenwesens und den Aufgaben der einzelnen Organe.53 Ein Zwölferkollegium, in dem
drei Ratsvertreter, drei Geistliche und sechs Vertreter der Gemeinde saßen, sollte die zentralen Leitungs-
funktionen ausüben. Damit war in Reutlingen nicht der Rat allein die oberste Instanz in kirchlichen Fra-
gen, sondern ein presbyteriales Gremium.54 Dieser Zwölferrat (zuchtherren, elteste) war zuständig für die
Anstellung und Beaufsichtigung der Geistlichen, der Armenpfleger (diacone) sowie der Schulmeister. Sämt-
liche Lehrmeinungen hatten die Zwölf auf ihre biblische Grundlage hin zu überprüfen. Alle drei Monate
sollten die Geistlichen aus der Stadt und ihren Dörfern zu Synoden zusammenkommen, um sich über Lehr-
und Lebensfragen auszutauschen.
Neben diesen administrativen Belangen regelt die Kirchenordnung den Ablauf der Tauf- und Abend-
mahlsfeiern. Einmal im Jahr sollten sämtliche Kirchen und Schulen im Reutlinger Herrschaftsgebiet von
bis zu vier Personen aus dem Kreis der Kirchenverwalter visitiert werden. Das Zwölfergremium hatte volle
Gewalt, gegen Sittenvergehen wie Hurerei, Ehebruch oder Trunksucht den Ausschluss vom Abendmahl zu
verhängen. Auch der gesamte Bereich des Eherechts von der rechtsgültigen Eheschließung bis zur Schei-
dung unterstand den Zwölf.
Die predicanten zu Reutlingen, vermutlich Matthäus Alber und seine Kollegen Johann Schradin und
Martin Reiser,55 untermauerten die einzelnen Maßnahmen der Kirchenordnung mit zahlreichen Bibelstel-
len. Konzeption und Inhalte entlehnten sie anderen Ordnungswerken: Der zwölfköpfige senatus ecclesiae
findet sich bereits in Johannes Oekolampads Rede über die Neuordnung und Durchführung der Kirchen-
zucht vom Sommer 1530 sowie in einem nicht publizierten Mandat des Basler Rates vom Juni 1530.56
Daneben lassen sich Bezüge zur Basler Bannordnung vom 14. Dezember 1530 feststellen.57 Neben Oeko-
lampad,58 zu dem Matthäus Alber seit 1529 in Verbindung stand, unterhielt er Kontakt zu Huldrich

Vergangenheit, S. 59: „Durch seine Kirchenordnung im
Jahr 1526 - es war die erste in Württemberg - hat Alber
der Kirchenmusikpflege in Reutlingen einen gewaltigen
Anstoß gegeben“. Abgesehen davon, dass die Kirchen-
ordnung nicht von 1526 stammt, lassen sich ihr auch
keinerlei Angaben zur musikalischen Gestaltung der
Gottesdienste entnehmen. Malls Aussage bezieht sich
vielmehr auf die „Ordnung der Schule und des Kirchen-
gesangs“ von 1565 (hier Nr. 3).
49 Siehe oben, S. 29.
50 Köhler, Ehegericht II, S. 274 und Anm. 31.
51 Duncker, Alber, S. 60. Die Memminger Artikel sind
abgedruckt bei Jäger, Etliche Artikel, S. 436-488.
52 Siehe unten, S. 38: So haben wir beyde, die frommen ober-
keit und Leviten, lange müh und arbeit mussen haben, biß
man die unreinen altar und allerley götzen dienst fürderlich
auß dem hertzen und nachmals auch, so vil gebürlich und
müglich, auß den augen thätten; vgl. Litz, Bilderfrage,
S. 78 Anm. 11.
53 Zum Inhalt siehe auch Köhler, Ehegericht II,

S. 274-277; Rublack/Scheible, Alber, S. 58; Hart-
mann, Alber, S. 97-100.
54 Rublack/Scheible, Alber, S. 58; Hermle, Alber,
S. 39f.; Duncker, Alber, S. 61.
55 Litz, Bilderfrage, S. 78 Anm. 11; Duncker, Alber,
S. 60. Hermle, Alber, S. 39 nimmt an, dass auch Bucer
zur Mitarbeit aufgefordert worden war: „Nachdem die
Prediger süddeutscher Städte - unter ihnen auch Alber -
vom 26. bis 28. Februar 1531 in Memmingen die vom
Schmalkaldischen Bund angestrebte Vereinheitlichung
der Kirchenbräuche beraten hatten, bat der [Reutlinger]
Rat Bucer um die Ausarbeitung einer Kirchenordnung.
Weil Bucer der Bitte nicht nachkam, erarbeiteten die
städtischen Prädikanten selbst eine Ordnung“. Diese
Annahme kann jedoch aufgrund fehlender Quellen nicht
überprüft werden.
56 Abdruck beider Dokumente bei Staehelin, Briefe und
Akten II, S. 448-464.
57 UB Basel, Kirchenarchiv, Handschrift Nr. 23a.
58 Vgl. Staehelin, Briefe und Akten II, Nr. 710 vom 8.
Dezember 1529.

32
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften