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Wolgast, Eike [Hrsg.]; Seebaß, Gottfried [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Kirchenrechtliches Institut der Evangelischen Kirche in Deutschland [Hrsg.]; Sehling, Emil [Begr.]; Dörner, Gerald [Bearb.]
Die evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahrhunderts (20. Band = Elsass, 1. Teilband): Straßburg — Tübingen: Mohr Siebeck, 2011

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https://doi.org/10.11588/diglit.30661#0394
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Straßburg

Aber ee wir auff solche lehr kommen, wöllen wir vor
ein wenig melden von der predestinatio oder fürse-
hung Gottes. Denn da ist nit allein das von nötten,
das ein yeder für sich in seim gewissen ein rechten
bericht davon habe, sonnder denen, so im kirchen
ampt sindt, kompt es ser vil für die handt, das sie
andere leuth trösten unnd davon underichten müs-
sen.
Der herr Christus füret im evangelio etliche mal
disen spruch: Vil sindt beruffen, aber wenig sindt
ausserwölet37. Solche wort verstehet man gemeinig-
lich also, das etliche verdammet werden. Solchs ge-
schehe darumb, das |18| sie Got nicht ußerwölet hab,
sonst würden sie auch selig. Halten es derhalb dar-
für, als hette Gott ihm ein register gemacht. Wer im
selben register stee, der werde selig, er thue gleich,
was er wölle. Aber solcher verstandt und meynung
ist durchauß falsch unnd seer fehrlich. Derhalb soll
man sich dafür hüten unnd solchen gedancken nit
folgen. Denn die summa solcher gedancken geet da-
hin, das man Gott zum tyrannen macht unnd in nit
für ein vatter helt, als der nit jederman, sonnder nur
etlichen sonndern leutten das ewig leben vermay-
net38 hab und dem anderen gönne ers nicht. Da ists
dann gar bald geschehen, das wir unserthalb in
zweiffel kommen, ob wir außerwölet seien oder nit,
ob wir im register der lebendigen stehen oder
nit39. Und finden sich bald ursach, das wir schlies-
sen: Du bist nit außerwölet. Da muß folgen, das
man zaget, Gott feind wirt und ehe wolte, es wer
kein Gott etc. Solchs |19| ist ein harte und gar teuff-
lische anfechtung. Derhalb gehört gewisser unnd
gründtlicher underricht dazu, das man diße ge-
dancken laß fallen und anders von Gott gedencke.
Solchs muß aber geschehen auff weise, wie folgt:
Erstlich, das du dich sonderlich hüten solt, das du
von Gott und seim willen dir nit gedancken schöpf-
fest auß dir selb, sonder auß seim wort. Denn Gott
hat niemandt ye gesehen. Der eingeborn son, der im
schoß des vatters ist, der hats uns verkündiget40.
Darumb, so du eigentlich wilt wißen, was Gott sey
37 Mt 22,14; dazu auch Mt 20,16 (aus einer späteren Über-
lieferung übernommen).
38 Zugedacht, zugemessen, s. Grimm, DWb 25, Sp. 853.
39 Zu der Vorstellung vom „Buch des Lebens“ vgl. Ps
69,29, Phil 4,3, insbesondere aber Apk 3,5; 17,8 u.ö.

und was er für ein hertz hab, so schawe, was Gott
von sich selb in seim wort redet. Da wirstu finden,
das die verheissung von vergebung der sünden unnd
ewigem leben durchauß alle menschen fasset und
niemandt außschleußt, als Joh. 3 [16]: Gott hat die
welt also geliebet, das er seinen eingebornen son
gab, auff das alle, die an in glauben, nit verloren
werden, sonnder das ewig leben haben. Hie sagt
Christus, Gott hab die |20| welt geliebet. Nun heißt
aber welt nit hundert, tausent, zehen tausent men-
schen, sonder alle menschen, gleich wie Christus nit
für das oder jenes, sonder für aller menschen sünde
hat bezalet und gnug gethon, wie Joh. [1,29] sagt:
Sihe, das ist Gottes lamb, das der welt sünde tregt.
Unnd 1. Joh. 2 [1-2]: Wir haben einen fürsprecher
bey dem vatter, Jesum Christum, der gerecht ist.
Und derselb ist die versönung für unsere sünde,
nicht aber allein für unser sünd, sonderen auch für
der gantzen welt sünde. 1. Timoth. 2 [3-6]: Gott ist
unser heyland, der will, das alle menschen selig wer-
den und zur erkantnuß der warheyt kommen. Denn
es ist ein Gott unnd ein mittler zwischen Gott und
den menschen, nemlich der mensch Jesus Christus,
der sich selb gegeben hat für alle zur erlösung.
Math. 11 [28]: Kompt her zu mir alle, die ir muselig
und beladen seyd. Ich will euch erquicken. Rom. 10
[12-13]: Es ist aller zumal ein herr, reich uber alle,
die in anrüffen. Denn wer |21| den namen des herren
anrüffet, sol selig werden.
Also macht Gottes wort keinen unterschid: Chri-
stus ist für alle gestorben, er hat für der gantzen
welt sünd gnug gethon. Darumb heysset Gott nit
diesem noch jenem, sonder aller welt im namen Jesu
predigen buß und vergebung der sünden41, und er
selb beutet42 jederman sein gnad an. Denn alle ver-
heissung sind in gemein gestelt und schliessen nie-
mandt auß. Darumb soll man Gottes wort glauben.
Und gleich wie sein wort dich nit außschleust, also
soltu selb dich auch nit ausschliessen, das ist: Du
solt dich halten für außerwelet, sintemal43 Christus
für dich gelitten unnd du seiner gnad nottürfftig
40 Joh 1,18.
41 Vgl. Lk 24,47.
42 Bietet.
43 Weil.

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