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Wolgast, Eike [Hrsg.]; Seebaß, Gottfried [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Kirchenrechtliches Institut der Evangelischen Kirche in Deutschland [Hrsg.]; Dörner, Gerald [Bearb.]; Sehling, Emil [Begr.]
Die evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahrhunderts (20. Band = Elsass, 2. Teilband): Die Territorien und Reichsstädte (außer Straßburg) — Tübingen: Mohr Siebeck, 2013

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https://doi.org/10.11588/diglit.30662#0192
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Mülhausen

Nr. 2)125. In einem nicht mehr erhaltenen, aber durch eine Kanzleinotiz bekannten Mandat vom Juli 1524
wurde das Verbot des Ehebruchs den Bürgern noch einmal eingeschärft126.
Wie in Basel und Straßburg kam es auch in Mülhausen erst nach der vollständigen Durchsetzung der
Reformation mit der Abschaffung der Messe zur Einrichtung eines Ehegerichts und zum Erlaß einer Ehe-
ordnung. In Basel wurde das Ehegericht mit der Reformationsordnung vom 1. April 1529 ins Leben geru-
fen. Es setzte sich aus insgesamt sieben Mitgliedern zusammen: zwei Leutpriestern sowie drei Angehörigen
des Kleinen und zwei des Großen Rates127. Die rechtlichen Grundlagen für die Arbeit des Gerichts waren in
der Reformationsordnung enthalten128. In Straßburg fiel die Entscheidung für das Ehegericht erst im
Dezember 1529. Anders als in Basel gehörten ihm nur Laien und keine Geistlichen an. Eine Eheordnung
verabschiedete der Straßburger Rat am 19. Februar 1530129.
Das erste Zeugnis für das Vorhandensein des Mülhauser Ehegerichts stammt vom 13. April 1529: Anno
etc. XXVIIII. uff Zinstag nach Misericordias Domini ist Eegericht gehalten130 .Vermutlich geht die Schaffung
des Ehegerichts wie dann auch der Erlaß der Eheordnung ein Jahr später auf eine Entscheidung des Großen
Rates zurück. Ein entsprechendes Dokument ist jedoch nicht erhalten131. Über die Eheprozesse in der Zeit
zwischen 1524 und der Aufnahme der Arbeit des Ehegerichts finden sich kaum Nachrichten. Nach der
Loslösung vom bischöflichen Gericht dürfte der Mülhauser Rat vermutlich auf Anrufen der Parteien in
Fällen, in denen es um die Gültigkeit der Ehe oder um die Trennung und Wiederverheiratung ging, ent-
schieden haben132.
Wie das Basler setzte sich auch das Mülhauser Ehegericht aus sieben Personen zusammen; im Unter-
schied zu Basel gehörten ihm jedoch drei Geistliche und vier Laien an133. Im 17. Jh. wurde die Zahl der
Mitglieder auf neun erhöht (vier Geistliche und fünf Laien). Die Berufung der Eherichter, die in den
zeitgenössischen Quellen oft als „Kommissare“ bezeichnet werden, lag in den Händen des Magistrats134.
Das Ehegericht entschied über die Gültigkeit oder Ungültigkeit einer Ehe oder eines Eheversprechens, über
die Scheidung und über die Erlaubnis zur Wiederverheiratung. Delikte wie Ehebruch, Defloration oder
Vergewaltigung fielen demgegenüber in die Zuständigkeit des Rates. Das Ehegericht konnte Fälle aber auch
an den Rat überweisen135. Bei der ersten Verhandlung unternahmen die Eherichter den Versuch einer
Schlichtung. Scheiterte diese, wurde dem Kläger oder der Klägerin bei der nächsten Verhandlung gestattet,
die Klage vorzubringen. Die Prozesse wurden in der Regel schriftlich geführt. Sogenannte „Fürsprecher“
vertraten die Parteien136. In den ersten beiden Jahren seines Bestehens fragten die Mülhauser Eherichter
häufig in Basel um Rat. Danach beschränkte sich die Konsultation in der Regel auf die komplizierteren
Fälle137.
Im Jahr 1530 schuf der Mülhauser Magistrat mit dem Erlaß der Eheordnung dann auch das rechtliche
Fundament für die Arbeit des Ehegerichts. Erste Vorberatungen zu dieser Ordnung fanden bereits im
November 1529 in der obengenannten Ratskommission statt. Das seinerzeit von der Kommission einge-
holte Gutachten der Geistlichen (Nr. 10) empfahl eine Übernahme der entsprechenden Regelungen zur Ehe
und zum Ehegericht aus der Basler Reformationsordnung vom 1. April 1529138. Dieser Empfehlung folgte

125 So denn werden unser schultheiß und amptleüt des eebruchs
und uneelicher bywonung halb ein ernstlich uffsehen haben
und, was sy der maß strefflichs finden, straffen.
126 Vgl. Lutz, Réformateurs 5, S. 51, Nr. 8.
127 Vgl. Dürr / Roth, Aktensammlung 3, Nr. 473, S. 398f.
128 Eine eigene umfassende Ehegerichtsordnung erließ der
Basler Magistrat dann am 27. Oktober 1533, s. Dürr /
Roth, Aktensammlung 4, Nr. 346, S. 333-357.
129 Vgl. Sehling, EKO XX,1, S. 49; die Eheordnung ist
abgedruckt ebd„ S. 218-221.
130 Bei diesem Zeugnis handelt es sich um einen kurzen Pro-

tokolleintrag zu der Verhandlung zwischen Lorenz Hefe-
lin und seiner Frau.
131 Vgl. Moeder, Mariage, S. 26.
132 Ebd., S. 21.
133 Zur Tätigkeit der Geistlichen als Eherichter vgl. auch
den unter Nr. 18a edierten Prädikanteneid von 1551.
134 Vgl. Moeder, Mariage, S. 27.
135 Ebd., S. 28.
136 Zur Verhandlungsführung s. ebd., S. 28f.
137 Ebd., S. 35f. mit den Anm. 86 und 87.
138 Nr. 10, S. 216: Item mit dem eelichen standt, und wie man

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