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Wolgast, Eike [Hrsg.]; Seebaß, Gottfried [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Kirchenrechtliches Institut der Evangelischen Kirche in Deutschland [Hrsg.]; Sehling, Emil [Begr.]; Dörner, Gerald [Bearb.]
Die evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahrhunderts (20. Band = Elsass, 2. Teilband): Die Territorien und Reichsstädte (außer Straßburg) — Tübingen: Mohr Siebeck, 2013

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https://doi.org/10.11588/diglit.30662#0226
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Mülhausen

8. Im Auftrag des Rates erstelltes Gutachten des Leutpriesters und der beiden
Prädikanten zu den Gottesdiensten in der Karwochea
[März 1528]1

Nachdem, ersamen, wisen herren, ich jetz am Mit-
wochen nechst vergangen vor uch erschinen, ein wis-
sen begert, wie ich mich soll halten in der Kar-
wuchen mitt den alten gebrüchen und ceremonien,
hab ich ein sollichen bericht von uch entpfangen,
nemlich, das ich sampt andern priestern, in sonder-
heit den zweien predicanten, mich underred und rat-
schlag, was zum rechten, waren gotsdienst, ouch zu
nutz und frumenb einer gantzen gmein am allerc
meisten dienen mög. Haben wir, nach dem unß gut
beduncktd, die gantze sach also nach dem kurtzisten
begriffen, nit zu eim entlich beschluß, sonder nach
unserm duncken2 uwer wissheit sollichs furgehalten,
damit, was zefiel oder wenig wer, sollichs geendert
wurde:
Zum ersten: Das am Palmtag das palmen segen und
schiessen sampt andern unnützen ceremonien, dar-

a Textvorlage (Handschrift): AM Mulhouse Nr. 3764.
b Gestr.: deß.
c Gestr.: nutzlichen.
d Gestr.: ein sollichen.
e Erg. über der Zeile.
f Korr. aus: mit.
g Erg. am Rand.

1 Das Gutachten ist von der Hand von Augustin Ge-
schmus geschrieben. Da Geschmus erst 1528 Leutprie-
ster wurde, kann das Gutachten erst aus diesem Jahr
stammen. 1529 aber wurde die Messe abgeschafft, die
hier noch Erwähnung findet. Also muß das Gutachten
aus der Zeit vor der Karwoche des Jahres 1528 (5.-11.
April) stammen. Vgl. Mieg, Réforme, S. 80f. und 95.
2 Urteil, Meinung, s. Grimm, DWb 2, Sp. 1550f.
3 In Erinnerung an den Einzug Jesu in Jerusalem (s. Mk
11,1-10par) werden am Palmsonntag grüne Zweige
(meist Weiden- oder Buchszweige) geweiht. Den geweih-
ten Zweigen schrieb das Volk apotropäische (u.a. gegen
Hexen, Dämonen, Gewitter) und magische Wirkungen
(Heilung von Krankheiten) zu. In Nachahmung des
Ausstreuens der Palmzweige beim Einzug Jesu als einem

uß nurf der aberglouben und gespött entspringt3, un-
derlassen werde. Soll ouch der passion ze tütsch ge-
lesen werden uff der cantzel und geprediget, wie an
eim andern Sontag. Item alle vier passion sollen zu
tütsch gelesen werden.
Das ander: Mitt den mettinen ist unser gutt bedun-
cken, das man ein Nocturn oder, wo das ze vil, ein
psalmen sing, bis das volck kumpt, dar nach der
predicant ein psalmen uslegen uff der kantzel, der
do inhalt den passion Christi, ouch das dasg unge-
stiem klopfen abgestelt werd, und das als4 by gutter
tag zit geschehen5.
Das trit: Mitt dem altar weschen, das ouch das sel-
big abgestelt werd6. Wo aber einer wer, der sinen
altar welt weschen, möcht das selbig thun.

Zeichen der Huldigung wurden bei der Prozession am
Palmsonntag Zweige auf den Palmesel oder auf die
Christusfigur geworfen; dies bezeichnete man als Pal-
menschießen. Vgl. Grimm, DWb 13, Sp. 1414; HWDA
6, Sp. 1365-1386; Franz, Benediktionen, S. 470.
4 Alles.
5 Mit den mettinen sind hier die sogenannten „Karmetten“
gemeint. Sie waren Teil des Stundengebets und wurden
eigentlich in den drei Nächten auf Gründonnerstag, Kar-
freitag und Karsamstag gefeiert. Die Metten bestanden
jeweils aus drei Nokturnen mit je drei Psalmen, drei Le-
sungen (bevorzugt aus dem Buch der Klagelieder) und
drei Responsorien. Am Ende der Metten gab es ein ri-
tuelles Stampfen und Klopfen. Mit diesem Stampfen
und Klopfen sollte das Herannahen der Knechte des Ho-
hen Rates und der Tumult bei der Gefangennahme Jesu
im Garten Gethsemane symbolisiert werden. Vgl. J. Gra-
binski, Über die Trauermetten der Kartage, 2006, in:
http://www.grabinski-online.de/div./metten.html.
6 Nach der Messe am Gründonnerstag wird üblicherweise
der Altar leergeräumt. Das Waschen des Altars scheint
dagegen ein besonderer Ritus gewesen zu sein.

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