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Wolgast, Eike [Hrsg.]; Seebaß, Gottfried [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Kirchenrechtliches Institut der Evangelischen Kirche in Deutschland [Hrsg.]; Sehling, Emil [Begr.]; Dörner, Gerald [Bearb.]
Die evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahrhunderts (20. Band = Elsass, 2. Teilband): Die Territorien und Reichsstädte (außer Straßburg) — Tübingen: Mohr Siebeck, 2013

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https://doi.org/10.11588/diglit.30662#0494
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Colmar

Ende des 12. oder Anfang des 13. Jh. entstand die Kommende der Johanniter in Colmar; urkundliche
Erwähnung findet sie aber erst 1234. Hier stiegen gewöhnlich die Herrscher ab, wenn sie sich in Colmar
aufhielten (so auch Kaiser Ferdinand I. im Jahr 1562)26. Nach 1532 war das Haus in Colmar aber nicht
mehr selbständig, sondern unterstand als praeceptorie serventium et capellanorum der Kommende in Sulz
(Soultz)27.

II. Die Reformation in Colmar
Die Reformation wurde erst 1575 in Colmar eingeführt. In der Literatur wird sie wie die Reformation in
Hagenau zu den sogenannten „Ratsreformationen“ gerechnet28. Erste reformatorische Bestrebungen finden
sich jedoch bereits ein halbes Jahrhundert früher in der Stadt: Im Dezember 1524 kam es nach der Ent-
lassung eines Vikars zu Unruhen. Der Vikar namens Hans hatte eine Reihe „lutherischer“ Predigten gehal-
ten und war daraufhin vom Rat der Stadt und vom Kapitel des Stifts St. Martin entlassen worden. Gegen
die Entlassung gab es heftige Proteste. Als die Anführer des Protests verhaftet wurden, zog eine große
Menschenmenge vor das Haus des Obristmeisters. Dem Magistrat wurde ein Katalog mit 13 Forderungen
überreicht: Bei diesen Forderungen ging es u.a. um die ungehinderte Predigt des Evangeliums und um eine
bessere seelsorgerliche Betreuung der Gläubigen. Ein weiterer Punkt betraf die Beteiligung der Geistlichen
an den Steuern und den Wach- und Frondiensten29.
Als es im April 1525 in der Umgebung Colmars zu ersten Aufständen der Bauern kam, griff die Bewe-
gung auch auf die Stadt über. Die Anstifter der Unruhen in der Stadt entstammten mehrheitlich den drei
agrarischen Zünften (Ackerleute, Rebleute, Zum Haspel). Forderungen nach Zerstörung der Klöster und
Beschlagnahme der Klostergüter wurden laut. Auf einer Gemeindeversammlung am 5. Mai wurde beschlos-
sen, daß alle Priester den Bürgereid schwören und sich den Zünften ansehließen sollten. Drei Tage später
leisteten die Geistlichen des Martinsstifts den Bürgereid30. Die Klöster mußten der Gemeinde eine Liste
ihrer Einkünfte vorlegen. Ein Erlaß vom 11. Mai sah die Kontrolle der Güter durch weltliche Admini-
stratoren, die Rücksendung auswärtiger Mönche und Nonnen in ihre Heimatorte und die Kontrolle der
Aufnahme neuer Konventualen durch die städtische Führung vor31. Drei Jahre später, im September 1528,
mußte Colmar die Geistlichen jedoch wieder aus dem Bürgereid entlassen. In der Folge scheint sich die
Stadt den Weisungen des Kaisers und des Oberlandvogts weitgehend gefügt zu haben. So veröffentlichte sie
auch die Mandate des Reichstags gegen die Protestanten und Täufer32.
Eine neue Lage entstand 1535 mit der Einführung der Reformation in der benachbarten württember-
gischen Herrschaft Horburg-Reichenweier33. Zahlreiche Colmarer begannen, die Gottesdienste im nahege-
legenen Horburg (Horbourg) zu besuchen, während die Beteiligung an den Messen in der Stadt selbst
spürbar nachließ34. Zur Verbesserung der geistlichen Versorgung drängten Rat und Magistrat deshalb das

26 Vgl. Billing, Chronik, S. 67.
27 Vgl. Scherlen, Topographie, S. 319f.; Braeuner /
Lichtle, Dictionnaire de Colmar, S. 76; Huot, Com-
manderie de Saint-Jean, passim.
28 Vgl. Greyerz, City reformation, S. 165 und Wey-
rauch, Politische Führungsgruppe, S. 215.
29 Vgl. Greyerz, City reformation, S. 45-50. Abdruck der
13 Artikel (AM Colmar EE 7, Nr. 1, Bl. 9r-11v) bei
Franz, Bauernkrieg (Aktenband), S. 186-188.
30 AM Colmar EE 7, Nr. 1, Bl. 49v-57v sowie Billing,
Chronik, S. 60.

31 AM Colmar EE 7, Nr. 1, Bl. 59v-60r. Zu den Gescheh-
nissen im April und Mai 1525 vgl. die Darstellungen bei
Rocholl, Anfänge, S. 54f. und Greyerz, City refor-
mation, S. 50-56 (ebd., S. 56-64 mit einer detaillierten
Analyse der Ursachen der Unruhen).
32 Vgl. Greyerz, City reformation, S. 69f. und 74.
33 Vgl. die Einleitung zu Sehling, EKO XVI, S. 34-39,
Adam, Kirchengeschichte Elsaß, S. 306-315 und
Brecht / Ehmer, Südwestdeutsche Reformationsge-
schichte, S. 267-269.
34 Vgl. Greyerz, City reformation, S. 73.

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