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Wolgast, Eike [Hrsg.]; Seebaß, Gottfried [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Kirchenrechtliches Institut der Evangelischen Kirche in Deutschland [Hrsg.]; Sehling, Emil [Begr.]; Arend, Sabine [Bearb.]
Die evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahrhunderts (22. Band = Nordrhein-Westfalen, 2): Das Erzstift Köln - die Grafschaften Wittgenstein, Moers, Bentheim-Tecklenburg und Rietberg - die Städte Münster, Soest und Neuenrade - die Grafschaft Lippe (Nachtrag) — Tübingen: Mohr Siebeck, 2017

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https://doi.org/10.11588/diglit.33493#0526
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Die Stadt Neuenrade

wurde, kehrte Wilken im Jahr darauf an die Universität Heidelberg zurück, wo er eine Professur für
Mathematik übernahm, die er bis zwei Jahre vor seinem Tod 1603 inne hatte.
Wer Wilken den Auftrag für die Ausarbeitung der Neuenrader Kirchenordnung erteilte, ist nicht
bekannt, vermutlich war aber sein Bruder Dietrich an der Entscheidung beteiligt, der in dieser Zeit das
Neuenrader Bürgermeisteramt inne gehabt haben soll.17 Wie aus Wilkens Nachwort der Ordnung hervor-
geht, hatte er in alter Verbundenheit zu seiner Vaterstadt offenbar angeboten, die Ordnung zu verfas-
sen.ls In der Vorrede schreibt er, dass er sie „mit rade und hülpe etliker Godfrüchtiger gelerder menner“ -
vermutlich Vertretern des Rats und der Gemeinde - konzipiert habe.19 Zu diesen Gesprächen reiste Wilken
von seinem zwischenzeitlichen Aufenthaltsort Oppenheim am Rhein20 in seine Heimatstadt, wie ebenfalls
aus dem Nachwort hervorgeht.21 Da die Ordnung an Pfingsten (21. Mai) 1564 fertiggestellt war,22 wird sich
Wilken im vorherigen Frühjahr in Neuenrade aufgehalten haben, vermutlich zwischen dem 26. Februar, als
der Lehrbetrieb in Oppenheim aufgrund der Pest eingestellt worden war, und dem 26. April, als er seinen
Lehrverpflichtungen in Heidelberg wieder nachkommen musste.23
Mit Hermann Wilken wurde ein Gelehrter mit der Abfassung der Kirchenordnung betraut, der jedoch
kein Theologe war. Er erhielt den Auftrag wohl deshalb, weil er aus einer ratsfähigen Neuenrader Familie
stammte und offenbar auf theologischem Gebiet als beschlagen galt. Durch seine langjährige Tätigkeit als
Präzeptor und Schulrektor in Riga stand Wilken nicht nur mit zahlreichen Theologen in Kontakt, sondern
hatte seine Schüler auch im Singen unterrichtet und auf deren Mitwirkung an den Gottesdiensten im
Schülerchor vorbereitet. Über die Jahre wird sich Wilken also ein solides theologisches, liturgisches und
hymnologisches Wissen angeeignet haben, das ihn für die Erarbeitung der Kirchenordnung auswies.24
Die Ordnung umfasst kirchenorganisatorische Abschnitte, einen umfangreichen agendarischen Teil
sowie einen Gesangbuchanhang.20 Im einzelnen trifft sie Regelungen zum Bekenntnisstand, zu den Amts-
pflichten des Seelsorgers, den geltenden Feiertagen sowie Zeremonien von Taufe, Eheeinsegnung, Kranken-
besuch und Begräbnis. Neben den Kasualien widmet sich die Ordnung den sonntäglichen Gottesdienstfeiern
und den Vespern.
Den Gesangbuchteil leitete Wilken mit einer Erklärung ein: „Nu folgen etlike gesenge und Psalmende,
... de mit sunderlikem bedencken und flithe uthgelesen sint und an etliken würdern geendert, dat se unse

17 Gryczan, Melanchthonschüler, S. 198fStiever-
mann, Neuenrade, S. 109; Nelle, Wilckens Kirchenord-
nung, S. 94f.
18 „Nadem sick dan de gelegenheit begeven heft, dat eine
veranderinge der Ceremonien in juwer Kercken geschege,
hebbe ick geachtet, ick sy van Godes wegen schüldig,
mynem leven Vaderlande, in düsser loffliken und Christ-
liken sake na mynem vermogen tho denen. Hebbe derhal-
ven nach juwem wünschen düsse korte Ordeninge thosa-
men gebracht und thoschicke iw deselvige, biddende, gy
wollen um Godes ehr, yuwer egenen wollfart und selicheit
willen deselvige annemen und darover holden“, siehe
unten, S. 555. Vgl. Heutger, Evangelisch-theologische
Arbeit, S. 86; Gryczan, Melanchthonschüler, S. 199.
19 Siehe unten, S. 517. Vgl. Gryczan, Melanchthonschüler,
S. 68f., 199; Wolters, Hermann Wilcken, 63f.
20 Aufgrund der in Heidelberg grassierenden Pest wurde es
den Professoren freigestellt, die Stadt zu verlassen. Her-
mann Wilken und andere Professoren der Artistenfakul-
tät begaben sich daraufhin nach Oppenheim, um den
Lehrbetrieb dort fortzusetzen, Wolgast, Universität
Heidelberg, S. 15f.; Gryczan, Melanchthonschüler,
S. 66f.
21 „Leven fründe und Landslüde, als ick am jüngesten by iw

was, merckede ick juwen guden willen und Christlike tho-
neginge tho der waren Religion und rechten Godesden-
ste“, siehe unten, S. 555.
22 So im Titel: „Kerckenordeninge der Christliken Gemeine
tho Niggen Rade, Angehaven im Jar unses Heren Dusent
viffhundert veerundsestig, up Pingsten“. Vgl. Helbich,
Pax et concordia, S. 237.
23 Gryczan, Melanchthonschüler, S. 67-69, 200; Drüll,
Gelehrtenlexikon, S. 558.
24 Gryczan, Melanchthonschüler, S. 363.
25 Zum Inhalt siehe auch Wolters, Hermann Wilcken,
S. 68-82; Nelle, Wilckens Kirchenordnung, S. 101-111;
Gryczan, Melanchthonschüler, S. 219-357; Oven,
Gesangbücher, S. 14-20; Gudelius, Kirchenordnung,
S. 110-115; Heutger, Evangelisch-theologische Arbeit,
S. 86f.; Brämik, Verfassung, S. 68-71; Schlick, Kir-
chenordnung, S. 94-96; ders., Gemeinde- und Gedenk-
buch, S. 59-66; Dresbach, Reformationsgeschichte,
S. 295-300; Becher, Herrschaft, S. 122f.; Bäumer,
Wilhelm/Rauschenbusch, August Ernst/von
Oven, Carl Heinrich Engelberg (Hg.), Entwurf
einer Agende für den Synodalbereich der Grafschaft
Mark, Essen 1829.

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