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Wolgast, Eike [Hrsg.]; Seebaß, Gottfried [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Kirchenrechtliches Institut der Evangelischen Kirche in Deutschland [Hrsg.]; Sehling, Emil [Begr.]
Die evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahrhunderts (6. Band = Niedersachsen, 1. Hälfte, 1. Halbband): Die Fürstentümer Wolfenbüttel und Lüneburg mit den Städten Braunschweig und Lüneburg — Tübingen: J.C.B. Mohr (Paul Siebeck), 1955

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https://doi.org/10.11588/diglit.30040#0054
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Wolfenbüttel

vynde nicht dat gude in my, dat is, in mynem
fleissche und alse David secht: Here, vor dynem
angesichte werd nemand rechtverdich, de hyr
levet [Ps 143,2], alse ock uth solcken schriften
und uth eigener erfarenheit sanctus Augustinus 7
secht: Veh hominum vitae quantumcunque lau-
dabili, si remota misericordia iudicetur, dat is
so vele secht: O weh dem levende der mynschen,
went ock sehr lofflick is, so yd gerichtet schal
werden na rechte, ane bermherticheit. Dat we-
then de rechten Christen wol, darumme könen se
sick ock nicht up ere guden werke vorlaten,
wenn se ock der vele dohn, sonder blyven in der
gnaden Gades, im geloven Christi, alse gesecht
is thovorn.

Overst sehe doch in dissem stücke an de
gnade, barmherticheit und leve Gades, unses
Vaders. Wy vor unse personen gefallen und be-
hagen Gade wol, alse syne leven kindere. Wente
he hefft uns unse sunde vorgeven und hefft
uns kindere Gades gemaket dorch den geloven
an Christum uth luter gnade und barmherti-
heit. Dar is de bohm gut. Nu yd överst kümpt
tho der frucht, dat is, tho unsern guden werken,
so bevindet yd sick, dat unse guden werke nicht
genoch dohn dem gesette edder gebaden Gades,
sind unvulkamen und van unsentwegen unrein,
dewyle wy noch in dissem levende ane under-
lath beden tho unsem hemmelschen Vader: Vor-
gyff uns unse schult etc. und darmede bekennen,
dat wy noch vor Gade sundere sind.

Dat is yd, dat ock wy kindere Gades mit
unsen werken nicht könen genoch dohn dem
gesette edder den gebaden Gades, welck doch
menen de phariseyer und fragen, wat se mehr
scholden dohn, dat se salich werden, gelöven,
dat se mit eren kreften und mit erem donde
könen dem gesette genoch dohn und dardorch
salich werden. Darwedder Paulus lude neen tho
secht, schir in alle synen epistelen gelick ock
alse unse mönnike hebben opera supererogati-
onis, dat is, alse se seggen, werke, de se noch

7 Confessiones IX 13,34; MSL 32,778; CSEL 33,223.

8 Vgl. C. Faustum Manich. XIX, 18; MSL 42,359;
CSEL 25,517. De spir. et lit. XIX, 34; MSL 44,

mehr dohn, wen Got gebaden hefft und meynen
mit ungelövigem herten, alse de pharisyer, dat
se dat gesette, dat is, de gebade Gades, mit
eren werken lange vullenbracht hebben und
ervüllet. Dat is blindheit över blindheit, dat de
elenden lüde ock nicht weten vam gesette Gades,
wenne wolden edder konden se denne weten
vam evangelio Christi?

Wy, alse de leven kindere Gades, leven Got
unsen leven Vader und hebben nicht andere
gödere, alse uns im ersten gebade werd geba-
den, wy leven ock de andern alse unse leven
brödere, överst dat gesette Gades let uns nicht
thofreden, sunder fordert ane unterlat noch
stedes van ganzem herten, van ganzer seelen,
van ganzem gemöte und allen kreften. Wor wil
dat hen mit uns armen sündern? und dat wy
unsen negesten leven schölen alse uns sülvest,
dat wil uns tho vele leve werden, dat wy nicht
könen vullenbringen.

Hyr sehe wy nu ock in unsen werken, van
Gade bevalen, de gnade Gades. Augustinus uth
der schrift und uth hilger erfarenheit secht also:
Wy Christen vullenbringen dat gesette, dat is,
wy holden vullenkamentlick de gebade Gades
uth gnade 8. De gebade Gades sind: Du schalt
Got leven van ganzem herten etc. und dynen
negesten alse dy sülvest. Dat Augustinus secht:
Uth gnade, meynet he, alse he ock uthlecht,
wenn he schrifft van der gnaden wedder de Pe-
lagianere und ock süs, dat ein Christen, wowol he
is ein kind Gades geworden, allene dorch den
geloven an Christum und nu wat gudes dohn
kan dorch de hülpe des hilgen Geistes, de em
gegeven is, doch nenerlye wyse mit synem
minschliken vermögen edder kreften, mit synen
werken, dat is, mit syner, des herten leve kan
genoch dohn dem gesette edder Gades gebade
ervüllen. Wente wowol he nu Got levet alse
synen Vader und den negesten levet alse synen
broder, so levet he denne noch nicht so vullen-
kamen, alse dat gesette vordert: van ganzem

221; CSEL 60,187 f. De grat. et lib. arb. XIV,

27; MSL 44,897. Sermo 252,2; MSL 38,1240 u. a.

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