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Wolgast, Eike [Hrsg.]; Seebaß, Gottfried [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Kirchenrechtliches Institut der Evangelischen Kirche in Deutschland [Hrsg.]; Sehling, Emil [Begr.]
Die evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahrhunderts (6. Band = Niedersachsen, 1. Hälfte, 1. Halbband): Die Fürstentümer Wolfenbüttel und Lüneburg mit den Städten Braunschweig und Lüneburg — Tübingen: J.C.B. Mohr (Paul Siebeck), 1955

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https://doi.org/10.11588/diglit.30040#0350
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Wolfenbüttel

sten, weder in kleidern, speise oder trank, ab-
gesondert, sondern mit und neben denselben zum
preis Gottes und ihrer seelen heil und selig-
keit leben und niemand ergerlich sind, sondern
zu meniglichs besserung verhelfen.

Hie felt aber noch eine und darzu nicht eine
schlechte frag für 75, nemlich, das eine kloster-
jungfrau hette sagen mügen und zum teil auch
etliche gesagt, sie können und wissen solchs
nicht zu widersprechen, sondern halten es für
die göttliche warheit, darnach ihr etliche nicht
wenig jar geseufzet und mit grossen freuden
hören, das es so ferne gebracht und sie die-
selbige stunde erlebet haben (denn ihr etliche
mit erschrockenem herzen das Salve regina
gesungen, besonders wenn sie genennet sey
worden vita, duloedo et spes nostra 76, das ist,
unser leben und hoffnung, welches niemande
denn dem einigen Gott zugeschrieben werden
solle), desgleichen auch, das sie das hochwirdige
sacrament des leibes und bluts Christi nach
seiner stiftung und einsetzung in beider gestalt
vor ihrem tod mügen empfangen.

Aber noch haben sie ein beschwerlich an-
ligen, weil sie Gott, dem allmechtigen, gelobet
und verheissen und gleich mit dem eyd 77 be-
stettiget, dazu auch das hochwirdige sacrament
darauf empfangen, das sie bey diesem glauben
und orden bleiben und von demselben nicht ab-
weichen wollen, wes sie sich disfals verhalten
sollen? Denn lassen sie ihren orden faren und
begeben sich in diese fürgeschriebene ordnung,
so handeln sie wider ihre gelübde und möchten
also ihre gewissen zum höchsten beschweret
und vor meniglich für treulos gehalten werden.
Demnach sie auch vleissig umb einen bericht
gebeten, ihr gewissen damit zufrieden stellen
und sich haben gegen meniglich mit gutem

75 a.R.: Anfechtung der beschehenen gelübde
halben.

76 Vgl. Röm. Meßbuch, S. 488, Gebete nach der
stillen hl. Messe: Salve Regina, mater miseri-
cordiae; vita, dulcedo et spes nostra, salve ...

77 a. R.: Gelübde und versprechen der kloster-
jungfrauen.

grund zu verantworten. Darauf dieser bericht
erf olget:

Erstlich so ist unwidersprechlich, das, was
Gott mit ernst von einem menschen erfordert,
was ihm ist gelobet und verheissen worden 78,
das sol man halten, wie geschrieben stehet
[Psal. 76, 12]: Gelobet und haltet dem Herrn,
euerm Gott, alle die umb ihn her sind. Und
Salomon spricht [Eccle. 5, 3 f.]: Wenn du Gott
gelübde thust, so verzeuchs nicht zu halten,
denn er hat kein gefallen an den narren. Was
du gelobest, das halte. Es ist besser, du gelobest
nichts, denn das du nicht haltest, was du ge-
lobet hast.

Aber hinwiderumb ist auch die frag, ob man
ohn unterscheid 79 alle gelübde halten mus und
schuldig sey zu halten? Als der Herodes der
tochter Herodiadis mit dem eyde versprochen,
was sie bitten werde, das wolle er ihr nicht
versagen, und sie bittet ihn umb das heupt Jo-
hannis [Mar. 6, 22—28], ist die frage, ob Herodes
schuldig sey gewesen, umb seines eyds willen
Johanni dem teufer lassen das heupt ab-
schlagen? Antwort: Nein, denn sie hat ge-
beten, das weder göttlich noch erbar gewesen.

Damit wir aber hierin nicht menschlichem
gutdünken, sondern dem ausgedruckten wort
Gottes 80 volgen (denn damit allein kan ein an-
gefochten herz und gewissen zufrieden gestellet
werden), so wollen wir hören, was Gott selber
für eine unterscheit unter den gelübden 81 ge-
macht und welcher gestalt ohn verletzung des
gewissens die gelübde mögen und sollen nicht
gehalten, darumb auch Gott nicht zürne oder
deshalben ein mensch seine straff zu besorgen
habe. Denn also schreibet Mose im vierden buch
am 30. capitel [Num. 30, 3—9]: Wenn jemand
dem Herrn ein gelübde thut oder einen eyd

78 a.R.: Bericht von klostergelübden.

79 a. R.: Ob man on allen unterscheid alle ge-
lübde zu halten schuldig sey?

80 a. R.: Allein mit Gottes wort lesset sich das
gewissen zufrieden stellen.

81 a. R.: Von unterscheid der gelübden.

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