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Wolgast, Eike [Hrsg.]; Seebaß, Gottfried [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Kirchenrechtliches Institut der Evangelischen Kirche in Deutschland [Hrsg.]; Sehling, Emil [Begr.]
Die evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahrhunderts (6. Band: Niedersachsen ; 2. Hälfte): Die welfischen Lande: Halbbd. 2, Die Fürstentümer Calenberg-Göttingen und Grubenhagen mit den Städten Göttingen, Northeim, Hannover, Hameln und Einbeck. Die Grafschaften Hoya und Diepholz. Anhang: Das freie Reichsstift Loccum — Tübingen, 1957

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https://doi.org/10.11588/diglit.30041#0333
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Kirchenordnung 1536

Darumb sagen wir also: es predige das evan-
gelium Luther oder andere, so wöllen wirs gleu-
ben, nicht umb Luthers willen, sonder umb des
willen, der gar ernstlich gebeut, Mar. 1 [15]:
Bessert euch und gleubet dem evangelio.
Dieweil wir denn wissen, das es das ware
evangelium ist, und Christus befilht uns, dem-
selbigen zu gleuben, so sollen und wöllen wirs
thun, soviel wir imer aus göttlicher gnade
vermögen.
Und ob man weiter sprechen wolth: Die lere
sey, wie sie wölle, so ist sie dennoch von der
oberkeit verboten!, darauf geben wir antwort:
Ob schon ein oberkeit solchs verboten hette, so
können und sollen wir dennoch von unserm fur-
nemen nicht abstehen und wissen von Gottes
gnaden, das uns kein solch verbot oder gesetz
verbinden kan. Derhalben können wir auch nicht
ungehorsam gescholten werden. Denn es müssen
auch unsere widersacher selbs bekennen, das in
allen gesetzen der christenheit ein solche ord-
nung ist, das unter allen gesetzeni, die uns
etwas zu thun oder zu lassen verbinden, eine
die öberste und aller anderer gesetz richtschnur
ist, darnach sich alle gesetz auf erden richten
müssen und von welcher alle gesetz die kraft
haben, uns zu verbinden. Und wenn das öberste
gesetz nicht verbindet, so verbinden die untern
auch nichtk. Dis hohe und öberste gesetz ist
Gottes wille, wie er uns in göttlicher schrift
eröffnet ist. Dieser wille und höheste gesetz ge-
beut uns, der oberkeit gehorsam zu leisten. Dar-
nach sind untere gesetz und ordnungen von der
oberkeit gestellet, die sollen wir halten; denn sie
verbinden uns unser conscienz, Rom. 14 [Rm 13,
5]. Als, so ein fürst gebeut, das alle untersassen
steur und zins zu bestimpter zeit bringen, das
gebot verbindet die unterthanen, das sie steur
und zins geben müssen bey Gottes ungnaden.
Denn Gottes wille, die öberste regel und gesetz,

verbindet uns, der oberkeit gehorsam zu leisten.
Wenn aber ein untergesetz oder ordnung ge-
macht wird, welche dem öbersten gesetz, nem-
lich dem göttlichen willen und wort, stracks
widerwertig ist, so verbindet es niemand. Denn
das öberste gesetz verbindet in dem fall nicht,
so kan auch und sol das untere gewislich nie-
mand verbinden. Hat es denn kein kraft zu uber-
winden, so ist je kein pflicht noch schuld da,
gehorsam zu sein; so folget auch weiter, das
kein ubertrettung oder ungehorsamkeit darin ist
oder zugelegt werden sol. Exempli causa: Der
heide Plinius31 war des keisers Traiani diener
und gebot als ein oberkeit mit keiserlicher au-
toritet, das die Christen Christum, ihren Herrn,
sollen lestern und des keisers bilde mit weiroch
und wein anbeten. Wie haben sich hierin die
Christen gehalten? Die rechten Christen ver-
achteten der weltlichen oberkeit gebot und the-
ten das widerspiel, verdampten alle abgötterey
und beteten Christum, unsern Gott, an. Nu frage
ich, ob sie billich als freveliche und ungehor-
same ubeltheter zu schelten seien oder nicht?
Antwort: Nein. Des keisers gebot war stracks
wider das höheste gesetz, den willen Gottes.
Das evangelium leret uns, was der wille Gottes
hierin ist und wozu er uns verbinde, nemlich,
das wir seinen geliebten Son Jhesum Christum
sollen hören, in ihn gleuben und anbeten. Der-
halben hat des keisers gebot die Christen nicht
verbunden, dieweil sie nu nicht schuldig waren,
solch keiserlich gebot zu halten; so kan man sie
auch mit recht nicht als ungehorsame schelten
und straffen.
Alle oberkeit ist von Gott und wird Gottes
dienerin genant, Ro. 13 [1 ff.], uns zum guten,
spricht Paulus. Sie haben von Gott gewalt, das
böse zu verbieten und zu straffen. Aber sie
haben keine gewalt, etwas wider Gottes willen
und wort zu gebieten; denn sie sind nicht herrn

h Einrede.
1 Man mus ein ordnung in allen gesetzen fur augen haben.
k Es binden nicht alle gesetz gleich.

31 Vgl. oben S. 1009, Anm. 20, zum Folgenden
ebenfalls ep. 96 ad Traianum imperatorem.

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