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Wolgast, Eike [Hrsg.]; Seebaß, Gottfried [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Kirchenrechtliches Institut der Evangelischen Kirche in Deutschland [Hrsg.]; Sprengler-Ruppenthal, Anneliese [Bearb.]; Sehling, Emil [Begr.]
Die evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahrhunderts (7. Band = Niedersachsen, 2. Hälfte, 2. Halbband, 1. Teil): Stift Hildesheim, Stadt Hildesheim, Grafschaft Oldenburg und Herrschaft Jever — Tübingen: J.B.C. Mohr (Paul Siebeck), 1980

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https://doi.org/10.11588/diglit.32954#0170
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5. Geholdener radtschlag uff die heimliche ehevorleubnuß, unzugt und wuecher,
inmassen wie dieselbigen publicirt und angeschlahen worden.
[1562]1

Wyr, der radt der stadt Hildesheim, tun kund
und fuegen hiemit in kraft diesses unsers briefs
allen unsern burgern, burgerschen und allen andern
unser stadt inwonern zu wissen: Demnach wir im
werk gespuret und befunden, das eine zeithero in
unser stadt alhie mit ehegelubten vast leichtfertig
umbgangen und darinnen zu zeiten unzulessige
trennunge gesucht, zudem auch allerhand grobe
und strefflige unzucht von eheleuten und andern,
alß ausser dem ehestand leben, begangen, auch von
etlicher ubermessiger zinß auf außgeliehen geld ge-
nomen und also schendlicher wucher darmit wird
getrieben, wudurch allenthalben der almechtiger
Godt zu schwerem zorn bewegt, und so hirinnen ge-
burlich einsehen nicht geschehe, ehr mit seiner ernst-
lichen straff nicht aussen pleiben wurde, das wir auß
erforderunge unsers obhgenden ambts, furnemlich
dem almechtigen Gotte zu eren, zu pflanzunge guter
policei, zucht und erbarkeit, und zu merer außrot-
tunge und verkominge verbotener trennunge der
ehegeleubt, unzuchtiges lebens und strefflichen
wuchers hernachfolgende ordnunge mit einhelligem
radte aller dero, alß vor Hildesheim raten, gemacht
und beschlossen haben, setzen, ordnen und wollen,
das alle unsere burgere, burgerschen und alle die,

1Druckvorlage: Stadt-A. Hildesheim, Hs. Alt-
stadt 153c, fol. 153b-155b. Zeitgenössische Ab-
schrift.
2 Indem man für das Verlöbnis die Einwilligung der
Eltern und Vormünder fordert, wendet man sich
gegen die im kanonischen Recht begründeten heim-
lichen Verlöbnisse. Auch Luther setzte die Öffent-
lichkeit des Verlöbnisses im wesentlichen dem Wis-
sen und der Einwilligung der Eltern ,,und was an
yhrer stat sein mag" gleich; vgl. Von Ehesachen.
1530; WA 30 III, 207. Tatsächlich bedeutete das
ein Anknüpfen an eine alte Sitte und Rechtsgewohn-
heit, wie sie sich trotz des kanonischen Rechts noch
erhalten hatte. Das Verlöbnis vor Zeugen setzte den
Beginn des Eheschließungsprozesses. Nach kanoni-
schem Recht dagegen hatten die durch bloßen
Konsens der Brautleute zustandegekommenen spon-
salia de praesenti bereits vollkommene eheschlie-
ßende Wirkung; die sponsalia de futuro waren noch
auflösbar, solange die Ehe nicht vollzogen war; vgl.

welche sich pillig nach unserm gebott und verbott
richten und demselben gehorsam sollen, diesser
unser ordnunge sich gemes vorhalten und dawider
nicht komen oder handeln, bey vormeidunge der
straff, so von unß auf einen jeden artickel wider die
vorbrecher hirunten ist vorordent, welchs auch ane
alle gnadt von inen genomen und erfordert und sun-
sten exequiert und volnzogen werden soll.
Und erstlich die ehegelubt belangend, ordnen
und wollen wir, das nun hinfuro unser burgerkin-
dere und andere inwonere, so sich alhie erhalten und
in irer eltern oder vormunden gewalt sein, nicht
macht haben sollen, sich mit jemand ahne ihrer el-
tern und formunden vorwissen, bewillunge und zu-
tun ehelich zu versprechen oder zu verloben2 . Und
so sie diesem zuwieder sich untereinander heimlich
wurden vorloben, sollen dieselben vorlubtnuß nich-
tig sein und keinem teil vorbunden3 , auch daruber
von uns nicht gehalten werden.Welche personen aber
ihrer selbst mechtig und nicht in ihrer eltern oder
formunden gewalt sein, so sie sich mit jemand wurde
vorsprechen ader vorloben, sollen dieselben gelubt-
nus gehalten und nicht frey sien, dieselben mit gelde
abzukeufen oder sunsten leichtferdigerweise darvon
abzutretten4 . Wie wir auch solcher geleubte tre-
Corp. iur. can., Decret. Gregor. IX. lib. IV, tit. I,
cap. 31 u. cap. 7; Friedberg II, 672. 663. Dazu
H. E. Feine, Kirchliche Rechtsgeschichte4 . 1964,
431f.; K.Michaelis, Über Luthers eherechtliche
Anschauungen und deren Verhältnis zum mittel-
alterlichen und neuzeitlichen Eherecht, in: Fest-
schrift für Erich Ruppel. 1968, 43ff.; H. Diete-
rich, Das protestantische Eherecht in Deutschland
bis zur Mitte des 17. Jh.s (= Ius ecclesiasticum 10).
1970, 22f.; Sehling VI, 2, 805, Anm. 10 und 11.
3 Vgl. Luther, aaO. 210: ,,Darumb solche ferliche,
ungeschickte greuel zu vermeiden, hab ich durch
solch gebot und rechte gerissen und frey geraten
und rate noch, das man die heimlichen verlöbnis
aufhebe und lasse sie nichts gelten." Zur Rechts-
verwirrung, die durch das kanonische Sponsalien-
recht entstand, vgl. Luther, aaO. 209ff.; Predigt
vom 6. Januar 1544; WA 49, 294ff., dazu H. Dör-
ries, Wort und Stunde III. 1970, 271ff.
4 Ganz allgemein galt das Verlöbnis damals als ehe-

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