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Wolgast, Eike [Editor]; Seebaß, Gottfried [Editor]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Editor]; Kirchenrechtliches Institut der Evangelischen Kirche in Deutschland [Editor]; Sehling, Emil [Bibliogr. antecedent]; Sprengler-Ruppenthal, Anneliese [Oth.]
Die evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahrhunderts (7. Band = Niedersachsen, 2. Hälfte, 2. Halbband, 1. Teil): Stift Hildesheim, Stadt Hildesheim, Grafschaft Oldenburg und Herrschaft Jever — Tübingen: J.B.C. Mohr (Paul Siebeck), 1980

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https://doi.org/10.11588/diglit.32954#0234
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Bescheid über die erste Tafel. Sie ist dieser Tafel aber auch verpflichtet als ein Wächter, was die äußere
Ordnung angeht16. Dazu fügt Sich dann, daß die Obrigkeit Kirchenordnungen ebenso wie Polizeiord-
nungen erläßt, daß Sie dem Kirchenrecht Rechtskraft verleiht ebenso wie dem weltlichen Recht. Die
Oldenburger KO, die sonst so fleißig Anleihen bei Melanchthon gemacht hat, hat die diesbezüglichen
Ausführungen zwar nicht ganz aufgenommen ; aber den Melanchthonschen Ausführungen entsprechend
gehandelt hat man in Oldenburg, indem die von den Theologen Selneccer und Hamelmann zusammen-
gestellte KO von den Landesherren als Gesetz erlassen wurde. Ist dies kirchenregimentliche Handeln der
Landesherren in den Reformationskirchen auch ein bekanntes Phänomen, so sollte hier doch darauf
hingewiesen werden, daß es im Zusammenhang mit einer ganz eindeutigen, von Melanchthon aufge-
zeigten Rechtsfigur zu sehen ist: über den beiden Regimenten Gottes steht der ewige Rechtswille Gottes,
dessen Wächter und Handlanger beide Regimente sind. Wie dabei einerseits die Kirche mit ihrer Ver-
kündigung christliche Obrigkeit erzeugt, so wirkt andererseits die Obrigkeit in die Kirche hinein, wobei
Melanchthon die Sichtbarkeit der Kirche betont, bei der man es nicht mit einer platonischen Idee zu
tun Kirchenordnung und Kirchenrechtsbildung sind um diese Zeit also etwas recht Handfestes
geworden. Und wie die KOO handfest werden, so werden sie auch umfangreich. Die Oldenburger KO
ist dessen ein Beispiel.

Was die Lehre betrifft, so bekundet die Oldenburger KO eine Anhänglichkeit an Melanchthon nicht
nur damit, daß sie weite Teile des Examens der Ordinanden abschreibt, sondern auch, indem sie das
Corpus doctrinae Philippicum als verbindlich erklärt18 . Dieses Lehrcorpus, das Symbole und Lehr-
schriften, größtenteils von Melanchthon herrührend, enthält, galt in Kursachsen offiziell als Lehrnorm
in der Annahme, es stimme mit Luther überein19 . Davon, daß sich in Melanchthons Schriften eine
Entwicklung abzeichnet, die z.B. in der Abendmahlslehre dem reformierten Bekenntnis entgegenkommt,
wollten auch friedliebende luth. Theologen nichts wissen20 . Entsprechend war die Haltung des Melan-

16 Sehling V, 189. MW VI, 244: „Nu wissen auch die heiden, das um friedes willen not ist, unrechte todschleger,
diebe und reuber zu strafen und sind die heidnischen gesetz davon wol bekant. Aber dieses ist allein ein stücklin
vom amt. Sondern die weltliche oberkeit ist Gott diesen dienst schuldig im ganzen göttlichen, ewigen gesetz, das ist
erstlich alle eusserliche, erkannte abgötterei, zauberei, eidbruch, gotteslesterung, öffentliche ketzerei sollen sie abtun
und strafen, und dagegen rechte lere von Gott pflanzen lassen und helfen erhalten... Darum ist auch weltlicher
oberkeit geboten, das sie rechte erkenntnis Gottes und rechte anrufung lerne ... Darnach sol auch straf wider unge-
horsam in andern göttlichen geboten folgen. Und in summa, die oberkeit sol beide tafeln der zehen gebot, Gott zu
ehren, in erhaltung eusserlicher zucht handhaben mit ernstlicher execution.“ Zu der Melanchthonischen Lehre von
der Obrigkeit als custos totius legis vgl. J. Heckel, Cura religionis. Jus in sacra. Jus circa sacra ( Kirchenrecht-
liche Abhandlungen, Heft 117/118). 1938, 224ff.; Sehling VII, 1, 725f., Anm. 6.

17 Sehling V, 176. MW VI, 212: „Christliche kirche, in diesem leben, ist ein sichtbare versamlung aller menschen,
die reine lere des evangelii annemen und rechten brauch der sacrament haben ... und sind gleichwol in dieser ver-
samlung viel, die nicht heilig sind, doch in eusserlicher gemeinschaft, eintrechtig mit den heiligen, in der lere. —
Hie merk, das wir nicht von der kirchen, als von einer idea platonica reden, da niemand wisse, wo sie zu finden sei.
Sondern ... Gott wil aus grosser barmherzigkeit gegen dem menschlichen geschlecht ihm fur und fur ein heuflin
samlen ...‘“. Vgl. dazu unsere KO, unten S. 1064. — Gegen die Vorstellung einer Kirche als civitas Platonica wendet
sich Melanchthon schon in der Apologie VII; Bek. Schr., 238. Vgl. dazu H. Busch, Melanchthons Kirchen-
begriff. Bonner theol. Diss. 1918, 37f.: „Die sichtbare Kirche ist vielmehr für Melanchthon seit 1537 in ihrer
geschichtlichen Erscheinung etwas tatsächlich Gewordenes und Werdendes. Im Gegensatz zu dieser geschichtlichen
Tatsache drohte von spiritualistischer Seite durch Betonung der Unsichtbarkeit der Kirche der Kirchenbegriff ver-
flüchtigt zu werden. Daher ist als Gegenwirkung zu einer solchen Ansicht von nun an die Sichtbarkeit der Kirche
immer stärker betont worden." Vgl. auch ebd. 27 ff. und Herrlinger, aaO0., bes. 257 ff.

18 Wir verweisen hier jeweils auf die unten abgedruckte KO und ihre Kommentierung. Vgl. S. 988 mit Anm. 9.
19 Zur Haltung des Kurfürsten August im Hinblick auf das luth. Bekenntnis vgl. A. Sprengler-Ruppenthal,
Die ostfriesischen Konkordaten von 1599, in: ZKG 1966, 329f., Anm. 36; für die Zeit nach dem Naumburger
Fürstentag 1561: P. Tschackert, Die Entstehung der luth. und der ref. Kirchenlehre samt ihren innerprote-
stantischen Gegensätzen. 1910, 544 ff.

20 Nachdem der Kurfürst auf die Kryptocalvinisten in seinem Land aufmerksam geworden war, ging er gegen sie
vor, ließ dann auf einem Tag zu Torgau im Juni 1574 den Leipziger und Wittenberger Theologen ein Abendmahls-
bekenntnis zur Unterschrift vorlegen, das lutherisch geprägt war und die ref. Theologen verwarf. Dabei hielt man

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