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Wolgast, Eike [Hrsg.]; Seebaß, Gottfried [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Kirchenrechtliches Institut der Evangelischen Kirche in Deutschland [Hrsg.]; Sehling, Emil [Begr.]; Sprengler-Ruppenthal, Anneliese [Bearb.]
Die evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahrhunderts (7. Band = Niedersachsen, 2. Hälfte, 2. Halbband, 1. Teil): Stift Hildesheim, Stadt Hildesheim, Grafschaft Oldenburg und Herrschaft Jever — Tübingen: J.B.C. Mohr (Paul Siebeck), 1980

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https://doi.org/10.11588/diglit.32954#0280
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Kirchenordnung 1573

Widerumb wenn ein Christ fühlet, wie sich die
sündliche unart reget und durch mancherley ge-
legenheit locket und reizet, Jacob. 1 [13f.], wenn
er da den bösen gedanken und lüsten nicht wider-
strebet, sondern hat lust und gefallen daran, suchet
oder gebrauchet allerley gelegenheit, dieselbige zu
fordern, folget ihnen, führet und setzet sie in die
tat und ins werk etc., da ist trauen15 keine recht-
schaffene busse, und wo keine busse ist, da kan kein
rechter glaube sein; denn des rechten glaubens art
und eigenschaft ist nicht diese, das er suche, wie
er müge in sünden bleiben, fortfahren, der mehr
machen, und also immerdar Gottes zorn uber sich
heufen, sondern der glaube sucht, wie er von sünden
und Gottes zorn möge frey, los und ledig werden.
Darumb wo die sünde also, wie vor gesagt, regieren,
da ist weder busse noch glauben16 sampt dem heili-
gen Geist, welcher der sünden widerstrebt, hinweg.
Wo nun der glaube nicht ist, da ist auch Christus
nicht, so kan auch da nicht sein Gottes gnad und
seligkeit. Was wird denn da sein? Ohne zweifel
Gottes zorn und der ewige todt, wo die, so gefallen
sind, nicht widerumb mit Gott umb Christus willen
versönet werden. Darumb und daher werden solche
sünde mortalia, wie Jacobus spricht [1, 15]: Die
sünde, wenn sie volendet ist, so geberet sie den todt,
und Paulus [Gal 5, 21]: Die solches tun, haben kein
teil am reich Gottes.
Dieser bericht ist gar hochnötig, das die Christen
mit allem vleis vermanet werden, das sie vor solchen
sünden sich hüten oder, da sie darin stecken, ja
nicht sicher darin fortfahren, sondern busse tun
und sich mit Gott durch Christum versönen, auf das

15 = in Wahrheit, fürwahr, wahrhaftig; vgl. Grimm,
Deutsches Wörterbuch XI, 1, 1, 1526ff.
16 Chemnitz, Kurzer, einfeltiger... bericht...; Seh-
ling VI, 1, 105: +, sondern ist busse, glauben.
17 Die Bildungsgeschichte der Siebenzahl der Haupt-
sünden reicht bis in die patristische Zeit zurück.
Für die abschließende Ausgestaltung waren beson-
ders Gregor d. Gr. und Isidor tätig. Als Ausstrahlun-
gen des erbsündlichen Hochmuts gelten seit Gregor:
Hoffart, Neid, Zorn, Geiz, Unkeuschheit, Unmäßig-
keit und religiös-sittliche Trägheit. Vgl. F. Scholz,
LThK IX2, 1183.
18 Der ganze Abschnitt (ab Anmerkungsziffer 12) im
allgemeinen wörtlich nach Chemnitz, Kurzer, ein-

sie ja nicht das schwere urteil Gottes mit sich
nemen [Gal 5,21]: Qui talia agunt, non habent
partem in regno Dei.
Dis ist ein einfeltiger und doch gründlicher,
nützer und notwendiger bericht de peccato mortali
et veniali, denn alle prediger mit vleis ihnen sollen
lassen befohlen sein. Und daraus wird auch das
leicht verstanden, das viel zu enge gespannen wird,
wenn man allein sieben todtsünde17 zelet18
Ist es recht oder unrecht geredt, wenn man
sagt, das die sünde sey des menschen
wesen und substanz19?
Antwort:
Das sey fern, das es recht geredt sein solt, denn
es ist und mus gehalten werden ein unterscheid
zwischen der substanz, wesen oder der natur des
menschen und zwischen der sünde, dadurch die
natur des menschen verruckt, verderbt und ver-
giftet ist. Denn unser catechismus19alehret uns aus
der schrift, Psalm 139 [13ff.], Iob 10 [8ff.], Eccle-
siast. 12 [1], das auch jetzund nach dem fall Gott
einem jeden menschen leib, seele schaffe, vernunft,
sinne und alle gliedmassen gebe und erhalte. Die
sünde aber schaffet und gibt unser Herr Gott nicht,
sondern die kömpt her vom teufel, Joan. 8 [44],
durch einen menschen, Roma 5 [12ff.], und diesel-
bige erbsünde ist nicht allein ein impedimentum
seu corruptio accidentium, ipsa substantia seu
natura hominis existente integra, als wenn man
einen magnet mit knoblauchssaft bestreicht20 oder
einen, der geschicklicheit, kraft und vermögen zu

feltiger... bericht...; Sehling VI, 1, 104f. (einige
inhaltlich unbedeutende Varianten).
19 Vgl. Chemnitz, Kurzer, einfeltiger... bericht...;
Sehling VI, 1, 102: ,,Es soll aber in diesen kirchen
nicht eingeführet werden die disputation, quod
peccatum originale sit substantia hominis seu ipsa
anima rationalis."
19a Luthers Kl. Katechismus, Der Glaube, Bek. Schr.,
510.
20 Das Beispiel vom Magneten hatte Viktorin Strigel
in der Weimarer Disputation 1560 gebraucht: wie
der Magnet, mit Zwiebelsaft bestrichen, seine An-
ziehungskraft zwar verliere, aber doch Magnet bleibe,
mit Bocksblut bestrichen, jedoch seine Kraft wieder-

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