Metadaten

Wolgast, Eike [Editor]; Seebaß, Gottfried [Editor]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Editor]; Kirchenrechtliches Institut der Evangelischen Kirche in Deutschland [Editor]; Sprengler-Ruppenthal, Anneliese [Oth.]; Sehling, Emil [Bibliogr. antecedent]
Die evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahrhunderts (7. Band = Niedersachsen, 2. Hälfte, 2. Halbband, 1. Teil): Stift Hildesheim, Stadt Hildesheim, Grafschaft Oldenburg und Herrschaft Jever — Tübingen: J.B.C. Mohr (Paul Siebeck), 1980

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.32954#0284
License: Free access  - all rights reserved
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
Kirchenordnung 1573

Die andern gesetz heissen ceremoniales, das ist
von kirchengepreng, von opfer, von unterscheid der
speise etc.
Die dritten heissen iudiciales, das ist bürgerliche
gesetz, von erbschaft2, halsgerichten und solchen
ordnungen, damit die regiment zucht und frieden
erhalten sollen3.
Nu ist zu wissen, das diese zwey teil, die leviti-
schen kirchengepreng und bürgerlichen gesetz sind
zum regiment Israel auf eine gewisse zeit geordnet
und haben allein Israel binden sollen und sind mit
der endlichen zerstörung Jerusalem zugleich gefallen
und binden uns nicht, wie klare zeugnüs sind in
Actis im 15. cap. [7ff.] und in der epistel zu den
Galatern [5, 1ff.]. Und sollen die gelerten weitern
bericht davon wissen.
Aber dieser teil, den man mit einem schwachen
namen nennet lex moralis, ist nicht ein vergeblich4
gesetz oder erstlich mit Mose angefangen, sondern
es ist die ewige, unwandelbare weisheit in Gott selbs
und die ewige regel der gerechtigkeit in seinem
göttlichen willen, die er aus unaussprechlicher
gütigkeit in die vernünftige creaturn gebildet hat,
und hat sie darnach allezeit für und für in seiner
kirchen von Adams zeiten mit seiner predig erkleret

von Melanchthon, Der ordinanden examen 1552,
ein. Wörtlich entsprechend MW VI, 184; Sehling
V,165.
2 Der Druck von ,,Der ordinanden examen" aus dem
Jahre 1558 (CR 23, XLVIII) fügt hier hinzu: land-
frieden. - Zusammenhang mit dem Augsburger Reli-
gionsfrieden 1555? Vgl. die Landfriedensformel des
Religionsfrieden bei A. v. Druffel-K. Brandi,
Briefe und Akten zur Geschichte des sechzehnten
Jahrhunderts etc. IV. Beiträge zur Reichsgeschichte
1553-1555. 1896, 724f.
3 Melanchthon in den Loci von 1521: ,,Divinae leges
sunt, quae per scripturas canonicas a Deo sancitae
sunt. Ordines earum tres fecerunt: sunt enim aliae
morales, aliae iudiciales, aliae ceremoniales. Morales
sunt, quae decalogo praescriptae sunt, in quas
referat studiosus omnes leges, quae de moribus in
tota scriptura proditae sunt...". Zunächst hatte
Melanchthon drei Arten von Gesetzen überhaupt
unterschieden; ibid.: ,,Legum aliae naturales sunt,
aliae divinae, aliae humanae...". Über die Natur-
gesetze urteilt er: ,,De naturalibus legibus nondum
vidi neque a theologis neque a iurisconsultis aliquid
digne scriptum...". Auch in Bezug auf.das Natur-
gesetz müsse man sich durch die heilige Schrift leiten
lassen. Das Naturgesetz korrespondiert dann mit

und erholet, das wir wissen sollen, wie er selbs ist,
nemlich weis, gütig, warhaftig, gerecht, keusch, und
das er wolle, das die vernünftige creatur ihm gleich-
förmig sein sol. Darumb er ihr diese hohe weisheit
mitgeteilet hat, die bindet alle vernünftige crea-
turn. Derwegen auch Gott warhaftiglich und grau-
samlich zürnet wider alles, das dieser seiner un-
wandelbarn weisheit widerwertig ist, und zerstöret
es5.
Und dieses gesetz nennet man mit gewönlichem
namen zehen gebot; denn darin sind die fürnemsten
sprüche ordentlich gefasset, die man aber also ver-
stehen sol, wie sie Gott selbs erkleret hat6. Und
wiewol keine creatur diese hohe weisheit ergründen
oder ausreden kan, so müssen wir dennoch als
kindlein die zehen gebot für und für lernen und
wissen, das dieses gesetz alle vernünftige creaturn
bindet, das ist, Gott selbs bindet sie, und diese
reden sind ein ernstlich urteil wider alle sündige
creaturn und zeugnis, das Gott warhaftiglich wider
sie zürnet. Und dieses urteil fülen alle menschen,
wenn das gewissen in schrecken und angst felt, die
so gros ist, das sie leiblichen und ewigen tod mit-
bringt, wenn nicht trost kümpt durch erkentnüs
des Herrn Christi aus dem evangelio7. In solcher
dem Dekalog. Vgl. CR 21, 120. 116ff.; MW II, 1, 46.
41ff.
4 Melanchthon, Der ordinanden examen 1552, MW
VI, 184; Sehling V, 166: vergenglich.
5 Von Anmerkungsziffer 1 bis hier wörtlich nach
Melanchthon, Der ordinanden examen 1552, MW
VI, 184; Sehling V, 165f. Benutzt ist, wie sich am
Ende des letzten Absatzes zeigt, der 2. Wittenberger
Druck; vgl. MW aaO., Anm. 26 a und 27.
6 Dazu Melanchthon in den Loci 1521: ,,Est autem
observandum hic, ne decalogum exponamus de solis
externis operibus partiamurque in consilia et prae-
cepta more scholastico, quare paucis percurram
legum formulas...". Er verweist dann auf die Aus-
legung durch Christus Mt 22, 37ff. und stellt fest:
,,Neque enim sciri potest, quid sit diligere Deum,
nisi Spiritu docente, hoc est nisi re ipsa Spiritu in-
flammatus experiare." Vgl. MW II, 1, 46ff.
7 Von den Gebräuchen des Gesetzes hat Melanchthon
den usus theologicus, elenchticus bzw. paedagogicus
im Sinn. Zu seiner entsprechend ausgerichteten Dis-
position der Loci von 1521 W. Maurer, Zur Kom-
position der Loci communes Melanchthons von 1521,
in: Lutherjahrbuch 1958, 146ff.; ders., Der junge
Melanchthon zwischen Humanismus und Reforma-
tion II. 1969, 139ff.

1009
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften