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Wolgast, Eike [Hrsg.]; Seebaß, Gottfried [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Kirchenrechtliches Institut der Evangelischen Kirche in Deutschland [Hrsg.]; Sprengler-Ruppenthal, Anneliese [Bearb.]; Sehling, Emil [Begr.]
Die evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahrhunderts (7. Band = Niedersachsen, 2. Hälfte, 2. Halbband, 1. Teil): Stift Hildesheim, Stadt Hildesheim, Grafschaft Oldenburg und Herrschaft Jever — Tübingen: J.B.C. Mohr (Paul Siebeck), 1980

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https://doi.org/10.11588/diglit.32954#0287
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Grafschaft Oldenburg

Straus19 mit falschen schein des iubilei fürgeben,
die ecker solten frey sein etc.20
Auch hat der bapst nach den levitischen ceremo-
nien affenwerk gemacht, hat sich zu Aharon ge-
macht, hat unterschied der speise geboten21, hat
fürgeben, die mönche weren Nazarei22.
Diese und allerley dergleichen irrtumb zu ver-
hüten, mus man diesen warhaftigen und nötigen
verstand in der kirchen erhalten, das die levitischen
ceremonien und bürgerlichen gesetze in Mose, die
nicht von natur in aller menschen verstand ge-
pflanzt sind, ihr ende haben mit Jerusalem und
binden uns ganz nichts.
Dieses haben die propheten zuvor also verkün-
digt, und haben die apostel semptlich in Actis cap. 15
[22 ff.] ein ernstlich decret davon gemacht, und hat
Paulus zun Galatern [2. 11ff.] und sonst sich gnug-
sam davon erkleret23.
So fragstu nu, dieweil das gesetz Mose
gefallen ist und ist itzund nicht sünde,
schweinenfleisch essen, warumb seind
diese werk sünde, die wider die zehen

19 Jakob Strauß, ca. 1480/85-ca. 1533, geboren in
Basel, 1516 Lehrer der Philosophie und Doktor der
Theologie in Freiburg, später zeitweise evangeli-
scher Prediger in Berchtesgaden, dann in Tirol, 1522
kurze Zeit Prediger bei Graf Georg von Wertheim,
kam 1523 als Prediger nach Eisenach, wo er als Re-
formator wirkte, während er sich gleichzeitig an
sozialen Fragen sehr interessiert zeigte, wie er auch in
mehreren Schriften zum Ausdruck brachte: Ein kurz
christlich Unterricht des großen Irrtums, so im
Heiligtum zu Ehren gehalten, das dann nach gemei-
nem Gebrauch der Abgötterei ganz gleich ist. 1523;
Haubtstück und Artikel christlicher leer wider den
unchristlichen wucher, darumb etlich pfaffen zu
Eysenach sogar unruewig und bemüet seind. 1523;
Das Wucher zu nemen und zu geben unserem christ-
lichen glauben und brüderlicher lieb entgegen ist.
1524. Strauß wollte das christliche Volksleben nach
dem mosaischen Gesetz gestaltet sehen. Er geriet
darüber in Gegensatz insbesondere zu Luther und
Melanchthon (vgl. WABr 3, 178f. 275ff.; CR 1,
CLIV. 655). Nach dem Bauernkrieg wurde Strauß in
Weimar verhört und inhaftiert, wandte sich danach
nach Nürnberg, wurde dann Stiftsprediger in Baden-
Baden, kehrte kurz vor seinem Tod zum katholi-
schen Glauben zurück. Vgl. G. Bossert, RE3 19,
92ff.; H. Barge, Jakob Strauß. Ein Kämpfer für
das Evangelium in Tirol, Thüringen und Süddeutsch-

gebot sind, todtschlag, ehebruch, stelen,
falsche eid tun etc.24 ?
Darauf sol man wissen, das diese lere, welche
genent ist lex moralis oder zehen gebot, in rechtem
verstand nicht ein vergenglich gesetz ist. Ist auch
nicht erst mit Mose angefangen, sonder es ist die
ewige, unwandelbare weisheit in Gott selbs und die
ewige regel der gerechtigkeit in seinem göttlichen
willen, die er aus unaussprechlicher gütigkeit [i]n die
vernünftige creaturen gebildet hat und hat sie
darnach allezeit für und für in seiner kirchen von
Adams zeiten an mit seiner predigt erkleret und
erholet, das wir wissen sollen, wie er selbs ist, nem-
lich weise, gütig, warhaftig, gerecht, keusch, und
das er wolle, das die vernünftige creatur ihm gleich-
formig sein sol, darumb er ihr diese hohe weisheit
mitgeteilet hat und zürne grausamlich wider alles,
was dieser seiner unwandelbaren weisheit widerwer-
tig ist, und zerstöre es. Und ist derhalben diese weis-
heit und regel in Gott für und für das warhaftige
und schrecklich urteil in Gott wider die sünde, das
ist, wider alles, das dieser weisheit widerwertig ist.
land (Schriften des Vereins für Reformationsge-
schichte Nr. 162). 1937.
20 Zu Müntzer und Strauß siehe auch C. Hinrichs,
Luther und Müntzer, ihre Auseinandersetzung über
Obrigkeit und Widerstandsrecht, Arbeiten zur Kir-
chengeschichte 292. 1962, 30ff.
21 Ursprünglich gab es in der Kirche keine allgemeinen
Vorschriften über erlaubte und unerlaubte Speisen
in den Fasten. Eine alte Sitte war es freilich, an den
Fasttagen nur Wasser und Brot zu sich zu nehmen
(vgl. z.B. Tertullian, De ieiunio 13; MSL 2, 971ff.
CSEL 20, 291f.) oder Brot, Salz und Wasser (vgl.
z.B. Epiphanius, Panarion 75, 7 bzw. 6; MSG 42,
511ff.; GCS 37, 338). Erst allmählich ging man dazu
über, die Enthaltung von bestimmten Speisen vor-
zuschreiben, besonders von Fleisch und Wein, wor-
über sich in der römischen Kirche dann eine üppige
Kasuistik entwickelte. Vgl. H. Achelis, RE3 5, 777.
Einzelheiten in Wetzer und Welte's Kirchenlexikon
IV2, 1252 ff.
22 = Nasiräer, bei den Israeliten ein Mensch, der sich
durch Gelübde Gott geweiht hat; vgl. Am 2, 11;
Num 6, 2ff.; Ri 16, 17; Act 18, 18; 21, 23ff.; vgl.
E. Jenni, RGG IV3, 1308f.
23 Von Anmerkungsziffer 16 bis hier wörtlich nach
Melanchthon, Der ordinanden examen 1552,
MW VI, 233f.; Sehling V, 185.
24 Wörtlich nach Melanchthon, Der ordinanden
examen 1552, MW VI, 234; Sehling V, 185.

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