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Wolgast, Eike [Hrsg.]; Seebaß, Gottfried [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Kirchenrechtliches Institut der Evangelischen Kirche in Deutschland [Hrsg.]; Sprengler-Ruppenthal, Anneliese [Bearb.]; Sehling, Emil [Begr.]
Die evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahrhunderts (7. Band = Niedersachsen, 2. Hälfte, 2. Halbband, 1. Teil): Stift Hildesheim, Stadt Hildesheim, Grafschaft Oldenburg und Herrschaft Jever — Tübingen: J.B.C. Mohr (Paul Siebeck), 1980

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https://doi.org/10.11588/diglit.32954#0291
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Grafschaft Oldenburg

niemals gesündigt hette, wer er doch nimermehr on
ein gesetz gewesen, sondern hette das gesetz, das
ist den unwandelbarn willen Gottes in seinem her-
zen geschrieben gehabt, nach dem er auch hette alle
seine gedanken, wort und werke gerichtet.
So ist nu dieser spruch Sanct. Paulus, da er
spricht 1.Tim. 1 [9]: Dem gerechten ist kein gesetz
gegeben, nicht also zu verstehen; denn einmal dem
Adam, da er noch gerecht und heilig was vor dem
fall, ein gesetz geben ist im paradies, sonst hette
er kein sünder werden können; denn wo kein gesetz
ist, da ist auch kein ubertrettung. Sondern S. Paulus
meinunge ist diese, das demjenigen, so volkomen
gerecht sey, nicht not sey der zwang des gesetzes,
weil er für sich selbs tut, was er zu tun schüldig ist,
sondern den ungerechten, das sie im gehorsam ge-
halten werden, wie denn unser ganze natur in ihrem
wesen ein ungerechte, sündige natur ist und bleibt
bis in den todt. Darumb sie auch also des gesetzes
bedarf, das sie es teglich höre, anschaue und darmit
umbgehe7

7 Zu dieser ganzen Argumentation vgl. die ganz ver-
wandte in der FC, Solida declaratio VI, Bek. Schr.
964ff. 967ff.: ,,Nachdem aber die gläubigen in die-
sem leben nicht vollkommlich..."; ,,Nachdem aber
die gläubigen in dieser welt nicht vollkommen er-
neuert, sondern der alte Adam hängt ihnen an bis in
die gruben, so bleibet auch in ihnen der kampf zwi-
schen dem Geist und fleisch...".
1 Vgl. FC, Solida declaratio V, Bek. Schr., 951 f.: ,,Nun
ist hie gleichergestalt zwischen etlichen theologen
Augsburgischer Confession zwiespalt eingefallen, do
der eine teil fürgeben, das evangelium sei eigentlich
nicht allein ein gnadenpredigt, sondern auch zu-
gleich ein predigt der buß...". - Vgl. dazu oben
S. 1013f., Anm. 1. - Gemeint sind hier Melanchthon
und seine Schüler mit der These vom Evangelium
als praedicatio poenitentiae; vgl. Bek. Schr., 951,
Anm. 3 (Hinweis auf mehrere Bedenken zum Torgi-
schen Buch). Zur Schule Melanchthons gehörten
u.a. Nicolaus Hemming (1513-1600), 1553-1579 Pro-
fessor der Theologie in Kopenhagen, Schrift: En-
chiridion theologicum. 1557 (das Evangelium sei eine
allgemeine Predigt der Buße, da es den Unglauben
strafe), Viktor in Strigel (vgl .oben S.1005f., Anm 20),
Disputatio de originali peccato et libero arbitrio...
1560. 1563, 587ff.; vgl. auch die Wittenberger
Propositiones: De praecipuis horum temporum
controversiis Propositiones, orationes, questiones.
Continens summam confessionis Academiae Wite-

Ob die bus aus dem gesetz oder aus dem
evangelio zu predigen sey.
Es ist zu unser zeit ein zank unter den gelerten
eingefallen, das ein teil fürgeben, das evangelium
sey und heisse eigenlich ein buspredig1, dieweil Chri-
stus Luce 24 [46f.] sagt: Also must Christus leiden
und auferstehen von den todten am dritten tag und
predigen lassen in seinem namen bus und vergebung
der sünde unter allen völkern2. Nu sol aber davon
kein unnötigs gezenk erregt, sondern es sol die
unterscheid des gesetzes und evangelii, darvon bald
hernach sol gesagt werden, festiglich behalten wer-
den. Es stehet in der Apologia3 etlich mal, das das
evangelium sey ein predig von der bus und verge-
bung der sünden, wie auch Lutherus4 in seinen
schriften oft also redet5, da denn nicht allein durch
das wort, evangelium, verstanden wird die ganze
lehr, die Christus beide, aus dem gesetz und evange-
lio, geführet und also zumal die buss, das ist rechte
erkentnus der sünden und vergebung der sünden

bergensis. Wittemberg 1570 (von Caspar Cruciger
Georg Torquatus [Pfarrer in Magdeburg], Christoph
Pezel u.a.); Pezel, Apologia verae doctrinae de defi-
nitione evangelii, opposita thrasonis praestigiis et
indignis theologo lusibus Joh. Wigandi. Wittenberg
1571 (vgl. dazu C. Schlüsselburg, aaO. IV [1597],
213ff.). Vgl. J. Seehawer, Zur Lehre vom Gebrauch
des Gesetzes und zur Geschichte des späteren Anti-
nomismus. 1887; G. Kawerau, RE3 1, 591; Bek.
Schr., 952, Anm.
2 Vgl. Apologie IV, Bek. Schr., 172; XII, Bek.
Schr., 257; N. Selneccer, „INSTITVTIONVM
CHRISTIANARVM PARS SECVNDA, CONTI-
NENS LOCOS DOCTRINAE CHRISTIANAE
EOS, qui Iustificationem hominis coram Deo, Poeni-
tentiam, Libertatem Christianam, Ecclesiae potesta-
tem, et vitae hominis rationem explicant... FRAN-
COFORTI AD MOENVM ANNO M.D.LXXIII."
Ibid. 16: „De duabus praecipuis partibus doctrinae
Christianae, de necessitate doctrinae legis: de errore
Antinomorum: et de discrimine legis et evangelii..;
18: „I. Oportet praedicari poenitentiam in nomine
Christi, Luc. 24...".
3 AaO. und XXVII, Bek. Schr., 393.
4 Z.B. Schmalkaldische Artikel, Bek. Schr., 447f.;
1. Disputation gegen die Antinomer, WA 39 I, 360ff.
5 Der Satz bis hier in meist wörtlicher Anlehnung an
Chemnitz, Kurzer, einfeltiger... bericht...; Seh-
ling VI, 1, 100f.

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