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Wolgast, Eike [Hrsg.]; Seebaß, Gottfried [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Kirchenrechtliches Institut der Evangelischen Kirche in Deutschland [Hrsg.]; Sprengler-Ruppenthal, Anneliese [Bearb.]; Sehling, Emil [Begr.]
Die evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahrhunderts (7. Band = Niedersachsen, 2. Hälfte, 2. Halbband, 1. Teil): Stift Hildesheim, Stadt Hildesheim, Grafschaft Oldenburg und Herrschaft Jever — Tübingen: J.B.C. Mohr (Paul Siebeck), 1980

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https://doi.org/10.11588/diglit.32954#0306
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Kirchenordnung 1573

Die erste ursach, das dem Herrn Christo seine ehre,
die ihm allein gebürt, gegeben werde.
Die ander ursach, das wir in erkendnis unserer
sünd und warhaftigem schrecken gewissen trost
haben, wie ihn Gott im evangelio offenbaret hat.
Die dritte ursach, das rechte anruffung zu Gott
geschehen könne im vertrauen uff den mittler
Christum und nicht auf eigne heiligkeit.
Die vierde ursach, das gesetz und evangelium
klar zu unterscheiden. Denn das gesetz spricht
nicht: gratis2.
Wenn denn von der gerechtigkeit der
Christen jemand also leret, das dadurch
die ewige, wesentliche gerechtigkeit
Gottes verstanden würde,
ist solchs recht oder unrecht?
Antwort:
Es ist unrecht, denn ob es wol war ist, das Gott
die gerechtigkeit wie auch die weisheit und warheit
selbs ist, und Gott, der die ewig gerechtigkeit selbst
ist, in den gleubigen und auserwelten als in seinem
tempel wonet und heiliget sie und treibet sie, recht
zu tun, idoch ist das gar ein andere frag, wenn man

2 Die Antwort wörtlich nach Melanchthon, Der
ordinanden examen 1552, MW VI, 198; Sehling V,
171.
3 Zu diesem Abschnitt vgl. FC, Solida declaratio III,
Bek. Schr., 932 f.: ,,Gleichsfalls muß auch die dispu-
tation von der einwohnung der wesentlichen gerech-
tigkeit Gottes in uns recht erkläret werden. Dann ob-
wohl durch den glauben in den auserwählten, so
durch Christum gerecht worden und mit Gott ver-
söhnet sind, Gott Vater, Sohn und heiliger Geist, der
die ewige und wesentliche gerechtigkeit ist, wohnet
(dann alle Christen sind tempel Gottes des Vaters,
Sohns und heiligen Geistes, welcher sie auch treibet,
recht zu tuen): so ist doch solche einwohnung Gottes
nicht die gerechtigkeit des glaubens, davon Paulus
handlet ...". - Unser Text wendet sich gegen die
Grundanschauung der Rechtfertigungslehre des
Andreas Osiander, hineingestellt in das Lehrstück
von der Wirkung der Gerechtigkeit. — Osiander
(1498-1552), als Priester zu St. Lorenz in Nürnberg
der für Nürnberg maßgebliche Reformator, wandte
sich nach dem Interim nach Königsberg, wo er
Pfarrer und Professor der theol. Fakultät wurde.
Hier begann der langwierige Streit um die Recht-
fertigungslehre (2. Königsberger Antrittsdisputation

frag, was Gott an einem armen sünder anschaue,
umb welches willen er ihne für from und gerecht
halte, nicht anders, als wenn er den volkomen ge-
horsam des gesetzes mit herzen, gedanken, worten
und werken geleistet hette. Denn hie siehet Gott
der Vater seinen Son an allein in dem gehorsam, den
er für die sünder geleistet hat. Und umb desselben
gehorsams willen rechtfertiget er den sünder von
seinen sünden, das ist, er spricht ihn loss und ledig,
nimpt ihn zu gnaden auf und vergibt ihm alle seine
sünde.
Und ist hie wol zu merken als eine sönderliche
maxima, das kein spruch im Alten oder Neuen
Testament könne angezeigt oder gefunden werden,
daraus nicht allwege das erfolgt, das der armen
sünder gerechtigkeit weder in unsern tugenden
oder werken noch in der wesentlichen gerechtigkeit
Gottes, sofern dieselbig in uns in diesem leben noch
unvolkomen wonet, sondern allein im gehorsam und
verdienst unsers Herrn und heilands Jhesu Christi
zu suchen und zu finden sey, welcher gehorsam uns
durch den glauben zur gerechtigkeit zugerechnet
und umb desselben willen allein uns alle unsere
sünde verziehen und vergeben werden3.

am 24. 10. 1550 gegen Martin Chemnitz). Osianders
mystische Rechtfertigungslehre zeichnete sich indes-
sen schon sehr früh ab, so in der Schrift: Ein gut Unter-
richt und getreuer Ratschlag aus heiliger göttlicher
Schrift, weß man sich in diesen Zwietrachten unsern
heiligen Glauben und christliche Lehre betreffend,
halten soll... 1524. Ausgehend von der Gotteslehre,
legt Osiander dar: Gott gebiert einen Sohn von Ewig-
keit, begreift und bildet sich ab in seinem Wort. In
dem Wort, das Gott selbst ist, steht des Menschen
Leben; mitgeteilt werden muß es durch das äußere
Wort und aufgenommen werden vom Glauben. Wer
Christi Wort hört, hat ihn, den Vater und auch den
heiligen Geist, den Brunnen guter Werke. Durch den
Glauben an Gottes Wort wird der Mensch gerecht-
fertigt und mit Gott vereinigt. Aber der Glaube
rechtfertigt nicht nur dadurch, daß wir mit Gott ver-
einigt werden, sondern auch dadurch, daß Gott so-
dann seine eigene Gerechtigkeit durch den Glauben
in uns wirkt. Denn zunächst sind Sünde und Tod
noch in uns, das alte Wesen muß noch ausgetilgt und
das neue aufgerichtet werden. Das geschieht, indem
der in uns wohnende Sinn und Geist Christi Gerech-
tigkeit in uns wirkt. Sätze Osianders, zusammen-
gestellt bei C. Schlüsselburg, aaO. VI (1598),

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