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Wolgast, Eike [Hrsg.]; Seebaß, Gottfried [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Kirchenrechtliches Institut der Evangelischen Kirche in Deutschland [Hrsg.]; Dörner, Gerald [Bearb.]; Sehling, Emil [Begr.]
Die evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahrhunderts (7. Band = Niedersachsen, 2. Hälfte, 2. Halbband, 2. Teil): Grafschaft Schaumburg, Goslar, Bremen — Tübingen: Mohr Siebeck, 2016

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https://doi.org/10.11588/diglit.30840#0212
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Goslar

6. Beschluß des Rates, der Gilden und Meinheit, den Gottesdienst in den Stifts- und Klosterkirchen zu
meiden, 28. August 1529 (Text S. 243)
Die zögerliche Haltung von Teilen des Rates bei der Durchführung der Reformation aus Sorge um das
Verhältnis zum Kaiser (s. oben S. 182f.) führte zu wachsenden Spannungen mit den evangelischen Prädi-
kanten. Die Geistlichen forderten ein schärferes Vorgehen gegen die Altgläubigen, vor allem gegen die Stifte
und Klöster. Die Unzufriedenheit mit der städtischen Führung geht auch aus einer Eingabe hervor, die nur
noch in einer vom Ratsschreiber erstellten Zusammenfassung, der „Hovet artikel uth der hern predicanten
breiffe getogen“, überliefert ist. In der Eingabe wurde dem Rat vorgehalten, weiterhin die gruwelike leste-
rung der Messe und das ungöttliche Wesen in den Stiften und Klöstern zu dulden und dem schändlichen
Treiben der Domherren mit ihren Konkubinen tatenlos zuzusehen. Die Prädikanten forderten, umgehend
alle hoch- und winkelmissen im Münster und in den Klosterkirchen abzustellen und die Konkubinen (papen-
wivere) aus der Stadt zu vertreiben. Den Ratsherren wurde aber auch ihre fehlende Vorbildfunktion vorge-
halten, da etliche von ihnen nicht am evangelischen Gottesdienst teilnahmen, sondern weiterhin die Messe
besuchten. Darüber hinaus beschuldigten die Geistlichen verschiedene Ratsherren der Unzucht, Völlerei
und Spielsucht. Ihre Kritik verbanden sie mit der Mahnung, dat ein ersam radt van seck thom ersten anheven
moythen und ein levendig exempel dem gemeynen volcke werden140.
Der konkrete Anlaß für den Beschluß des Rates vom 28. August war aber wohl letztlich das oben bereits
genannte Schreiben des Superintendenten Johannes Amandus vom 10. Juli 1529. Auslöser für den „Brand-
brief“ des Superintendenten waren die gegen ihn gerichteten Vorwürfe, daß er die Bürger gegen die Obrig-
keit aufstachele und nicht nur den predigtstuell, sonder auch das radthaus regiere141. Diese Vorwürfe waren
anscheinend sogar auswärts bei einer Städteversammlung in Braunschweig erhoben worden. In seinem Brief
verwahrte sich Amandus gegen die Kritik und beschuldigte seinerseits die Ratsherren, von ihnen selbst
gefaßte Beschlüsse zu mißachten: Zum ersten verwies er dabei auf die Entscheidung des Rates vom 22.
März 1528, wonach das Evangelium in Goslar lauter und rein gepredigt werden solle, um einigkeit willen der
bürger und ynwohner: Niemand gefährde die Einigkeit in der Stadt mehr als die Ratsherren, wenn sie die
evangelische Lehre und ihn als deren Verkündiger hinterrücks schmähten und lästerten. Zum zweiten bezog
sich der Superintendent auf die vom Rat und den Gilden als „christlich“ angenommene Nürnberger Ord-
nung: Niemand widerstrebe dieser Ordnung mehr als die Mitglieder des Rates und ihre Angehörigen, die
nicht nur die evangelischen Gottesdienste mieden, sondern deren Besucher vielmehr noch verunglimpften.
Zum dritten ging er auf das bei einer öffentlichen Versammlung am 6. Juli 1528 verkündete Verbot ein, die
Gottesdienste im Münster und in der Kirche des Stifts auf dem Riechenberg zu besuchen. Provozierend
fragte er: Nhun suche man, wo und unter welchen die schuld gefunden werde, bei den glidmaßen des radts, irem
volck und gesinde, oder bey dem gemeinen man? Welche sind die, die irem gesinde weren, in die predige zu ghen;
welche halten ir volck dazu, das sie zum Riechenberge, ins Münster bethaven gehen; welche halten ire kinder in die
schule zum Thum und zum baalitischen gotsdienst, so doch ein lobliche christliche schule hie uffgericht ist, auch
mit keyser[licher] freyheit, in welcher auch sulche gelerte menner seind, die mhe christlichen wandels und lebens
in einem tage furen denn die bethavenschen pfaffen in X jaren thun?142
Am 28. August 1529 fiel der Beschluß, daß die Mitglieder des Rates und der Gilden, ihre Familien und
ihr Gesinde zukünftig die Gottesdienste in den beiden Stiftskirchen St. Simon und Judas (Münster) und auf
dem Riechenberg sowie - dies ist neu gegenüber der Versammlung vom 6. Juli 1528 - in der Kirche des
Klosters Neuwerk meiden und ihre Kinder nicht mehr in die Domschule, sondern in die neugegründete Rats-

140 StadtA Goslar B 4548. Wiedergabe der Artikel in Höl-
scher, Geschichte der Reformation, S. 75.
141 Vgl. auch Corvinus, Warhafftig bericht (1529), Bl. C 4r:
das Amandus nicht allein prediger, sondern auch Burger-

meister sey zu Gosler, gleicherweis als setzten sich die pre-
diger uber die regenten.
142 Abdruck des Briefes bei Hölscher, Geschichte der
Reformation, S. 66-75 (Zitat auf S. 71).

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