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Wolgast, Eike [Hrsg.]; Seebaß, Gottfried [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Kirchenrechtliches Institut der Evangelischen Kirche in Deutschland [Hrsg.]; Sehling, Emil [Begr.]; Dörner, Gerald [Bearb.]
Die evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahrhunderts (7. Band = Niedersachsen, 2. Hälfte, 2. Halbband, 2. Teil): Grafschaft Schaumburg, Goslar, Bremen — Tübingen: Mohr Siebeck, 2016

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https://doi.org/10.11588/diglit.30840#0220
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Goslar

anderen Pfarrkirchen (St. Jakobi, St. Stephani und St. Peter und Paul am Frankenberg) gab es jeweils
einen Pfarrer und einen Kaplan200.
Bereits im Oktober 1528 waren dem Rat Vorschläge zur Finanzierung der Armenversorgung und zur
Besoldung der evangelischen Geistlichen unterbreitet worden. Vermutlich gingen sie auf eine Eingabe der
Gilden und der Meinheit zurück. Das Gesuch selbst scheint nicht mehr erhalten zu sein. In seiner Stellung-
nahme lehnte der Goslarer Rat am 21. Oktober 1528 ein Vorgehen gegen die Stifte und Klöster mit ihren
Besitzungen ab201. Auch den geistlichen Personen in den Stiften und Klöstern die Zinse vorzuenthalten, war
er nicht bereit. Bedenken hatten die Ratsherren auch bei der Verwendung des Vermögens der zahlreichen
Goslarer Bruderschaften, da ein Teil der Bruderschaften selbst karitativ tätig war. Lediglich die Zinse der
erledigten Kirchenlehen wollten die Ratsherren an sich ziehen und für die Besoldung der Prädikanten und
Kapläne verwenden202.
Der Stellungnahme des Rates läßt sich entnehmen, daß bereits im Oktober 1528 ein Gemeiner Kasten
existierte. Im Juli des darauffolgenden Jahres kam es dann zur Einrichtung des sogenannten „Kistenam-
tes“, das für die Verwaltung des Gemeinen Kastens zuständig war. Das Amt bestand zunächst aus sechs
Personen, den sogenannten „Kistenherren“; in den dreißiger Jahren wurde ihre Zahl auf vier gesenkt; Ende
des 16. Jh. gab es dann nur noch zwei Kistenherren203.
Mit der Einrichtung des neuen Amtes im Juli 1529 beschloß der Rat, die erledigten Kirchenlehen
(entledigte lehne) und die Vermögen der Goslarer Bruderschaften durch die Kistenherren einziehen zu lassen,
wobei es für die überwiegend karitativ tätigen Bruderschaften noch Sonderregelungen gab204. In den fol-
genden zwei Jahren flossen dann die Vermögen von über 30 Bruderschaften in den Gemeinen Kasten. Sehr
viel langsamer gingen die Erträge aus den Benefizien der Pfarrkirchen und Kapellen an den Kasten über,
weil vielen Pfründeninhabern der Genuß der Erträge aus ihren Benefizien noch bis zum Lebensende zuge-
standen worden war205.
Eine eigene Kastenordnung scheint nicht überliefert zu sein. Auch eine Armenordnung fehlt für Goslar:
Obwohl sich der Rat vielfach an den Gewohnheiten der Stadt Nürnberg orientierte (s. oben Nr. 2), scheint
er die Übernahme der weitverbreiteten Nürnberger Armenordnung von 1522 („Ordnung des großen all-
musens Haußarmer leut“) nicht in Erwägung gezogen zu haben206. Lediglich in der von Amsdorf verfaßten
Goslarer Kirchenordnung von 1531 findet sich ein kurzer Abschnitt, der sich mit der Versorgung der Armen
beschäftigt. Demnach sollten in den einzelnen Pfarreien Armenkästen zur Versorgung der Hausarmen ein-
gerichtet werden. Die Verwaltung der Kästen lag in den Händen der Diakone207, welche die Hausarmen
ihrer Pfarrei regelmäßig visitiren sollten. Verantwortlich waren die Diakone gegenüber dem jeweiligen Pfar-
rer (Nr. 7, S. 248). Zusätzlich zu den Armenkästen der Pfarreien gab es noch eine zentrale Armenkasse, die
vermutlich in der Marktkirche untergebracht war. Sie wurde von den aus jeder Pfarrei abgeordneten Dia-
konen geführt208.

200 Zum Überblick über die Personalentwicklung nach Ein-
führung der Reformation s. Pastoren der Landeskir-
chen 1, S. 335-345.
201 Der Rat berief sich dabei zum einen auf den Speyerer
Reichstagsabschied von 1526 und zum anderen auf die
von ihm angenomme Nürnberger Ordnung.
202 StadtA Goslar B 4546 (Andtworde up overgegeven artikel
am Fridage Galli negst verschenen). Zur Stellungnahme
des Rates vgl. auch Graf, Pfründe, S. 35f. und Höl-
scher, Geschichte der Reformation, S. 52.
203 Vgl. Dreves, Armenwesen, S. 122f. Etwa die Hälfte der
Kistenherren kam aus den Reihen des Rates bzw. aus dem
Kreis der ratsfähigen Familien.

204 StadtA Goslar B Paket 659 (Register der Kastenherren).
205 Vgl. Graf, Pfründe S. 36f.
206 Die Nürnberger Armenordnung ist ediert in Sehling,
EKO XI,1, S. 23-32. Zu ihrer Verbreitung vgl. Kreiker,
Armut, S. 41f„ Sehling, EKO XX,1, S. 30f. und Otto
Winckelmann, Die Armenordnungen von Nürnberg,
Kitzingen, Regensburg und Ypern, in: ARG 10 (1913),
S.242-280.
207 Bei den in der Kirchenordnung erwähnten diaconi handelt
es sich um Laien, denen die Verwaltung der Armenkästen
in den Pfarrgemeinden oblag, und nicht um Hilfsgeistli-
che.
208 Vgl. Graf, Pfründe, S. 42-44.

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