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Orth, Christian; Aristophanes
Fragmenta comica (FrC) ; Kommentierung der Fragmente der griechischen Komödie (Band 10,3): Aristophanes, Aiolosikon - Babylonioi (fr. 1-100): Übersetzung und Kommentar — Heidelberg: Verlag Antike, 2017

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https://doi.org/10.11588/diglit.53730#0232
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228

Aristophanes

7. Die Euripidesparodie könnte durchaus der eigentliche Ausgangspunkt
für die Behandlung der Anagyroslegende bei Aristophanes sein (jedenfalls ist
auf Anhieb kein anderer ähnlich plausibler Grund dafür erkennbar). In diesem
Fall könnte Aristophanes durch die Verbindung von zumindest zwei euripi-
deischen Vorbildern mit der diesen in der Handlung ähnlichen Anagyros-
legende nicht nur die tragischen Vorlagen in die attische Alltagswelt verlegt
haben,* * * * * 34 sondern vielleicht auch die allzu menschlichen und wenig würde-
vollen Themen von Euripides’ Tragödien ins Lächerliche gezogen haben.
8. Die Anagyroslegende enthält Elemente, die sich sehr gut in eine Komö-
die einfügen, und solche, die in einer Komödienhandlung kaum denkbar
sind. Zu ersteren gehört nicht zuletzt der im Mittelpunkt der Legende ste-
hende aus einem ländlichen Demos stammende alte Mann, der genau dem
typischen Profil eines aristophanischen komischen Helden entspricht.35
Auch einen jähzornigen lokalen Heros oder Daimon könnte man sich in
einer Komödie gut vorstellen (wo er sich vielleicht eher als lästig denn als
wirklich gefährlich erweist). Kaum für eine Komödienhandlung geeignet
sind dagegen einige weitere Elemente der Legende.36 Das gilt besonders für
die vielfältigen Unglücksfälle - darunter auch Todesfälle, aber auch für die
tragische Liebesleidenschaft der Stiefmutter. Man muss also - ähnlich wie
bei den Mythen- und Tragödienparodien in der Komödie - mindestens von
einer stärkeren Abwandlung, wenn nicht sogar einer ganz freien Bearbeitung
der Legende ausgehen (wie das in der Umwandlung der Liebesleidenschaft

Ar. fr. 712 άλλ’ εις ήρων τι παρήμαρτον „aber/sondern gegen einen Heros habe ich
einen kleinen Frevel begangen“ (von Dindorf 1829,134 den Ήρωες zugeschrieben,
während Bothe 1844b, 181 an den Anagyros denkt; vgl. Kassel/Austin, PCG III.2
(1984) 364: „ad Heroas referendum esse susp. Dindorf, sed possis etiam de Anagyro
(Bothe) vel qualibet alia fabula cogitare“).
34 In dieser Weise könnte man den Anagyros überhaupt als eine Art Vorläufer der
in der späteren Alten und Mittleren Komödie äußerst beliebten Mythen- und
Tragödienparodien betrachten.
35 Zur ländlichen Herkunft komischer Helden vgl. oben zu fr. 27.
36 Das bemerkt schon Bothe 1844b, 20, und vgl. van Leeuwen 1903, 14 der vermutet,
dass die Geschichte vom Heros Anagyros aus einer Tragödie stammt (zu berück-
sichtigen ist dabei auch, dass an den ländlichen Dionysien auch in Anagyrous
selbst Tragödienaufführungen stattfinden konnten, wie inschriftlich wahrschein-
lich auch direkt bezeugt ist [vgl. Whitehead 1986, 220 mit Anm. 261, Millis 2015b,
231-2]); zur Erwähnung von attischen Demen in der Tragödie vgl. Whitehead
1986, 47. Wenn das richtig ist, dann stellt sich die Frage, ob diese Tragödie schon
Aristophanes bekannt war, oder ob dieser von einer älteren, vielleicht nur münd-
lich verbreiteten, Version der Legende ausging.
 
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