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Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]
Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2002 — 2003

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I. Das Geschäftsjahr 2002
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Wissenschaftliche Sitzungen
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Sitzung der Phil.-hist. Klasse am 30. November 2002
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Mertens, Dieter: Die Anfänge der deutschen Nationalgeschichtsschreibung im Zeitalter des Humanismus
DOI Kapitel:
Gesamtsitzung am 14. Dezember 2002
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https://doi.org/10.11588/diglit.66351#0092
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14. Dezember 2002

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findung des Annoliedes (Ende 11. Jh.) und der Kaiserchronik (Mitte 12. Jh.) zum
Ausdruck kommt. Hier wurden gegenteilige Vorstellungen vorgetragen: Es wurde
den origines gentium der historische Vorrang vor der Ethnogenese der Deutschen
zugewiesen, und die Funktion dieser Ethnogenese wurde allein vom Reich her defi-
niert.
Die Funktionsgeschichte des Nationsdiskurses ist jedoch mit dem diachronen
Wandel nicht hinreichend beschrieben. Vormoderne Gesellschaften hängen von der
Wahrung und Sichtbarmachung eines komplexen Rangsystems ab. Deshalb steht der
Nationsdiskurs der deutschen Humanisten mit anderen gleichzeitigen Diskursen in
einem systemischen Zusammenhang: mit den Diskursen über Dynastien, Reich,
Nachbarn, Türken und deutsche gentes bzw. Länder. Nur auf die Dynastien sei noch
eingegangen. Das mit Tacitus formulierte nationale Autochthomekonzept wirkte
nach außen abgrenzend und differenzierend im Sinn der Nationalisierung Europas,
nach innen wirkte es egalisierend. Letztere Wirkung ist in der - ebenfalls von Huma-
nisten besorgten — dynastischen Historiographie zu fassen. Entsprechend der um
1500 aktuellen Ausformung des Dualismus von Ständenation und habsburgischer
Großdynastie sei dieser verfassungsrelevante Zusammenhang angesprochen. Die
Großdynastie konterte die Nationalgeschichte prompt mit einem genealogischen
opus magnum, mit dem sie sich dem Egalisierungsanspruch entzog und, frühere
Herkunftskonstruktionen verwerfend, neuen unüberbietbaren Rang propagierte.
Kleine Dynastien fürstlichen und nichtfürstlichen Ranges hingegen beugten sich
früher oder später dem Egalisierungsdruck und erklärten sich im Lauf des 16. Jahr-
hunderts für autochthon; den Vorrang vor den Ständen mußten sie demnach anders
als durch die origo begründen.
Der Vortrag wird in erweiterter Form in den Schriften der Akademie erscheinen.

Gesamtsitzung am 14. Dezember 2002
GESCHÄFTSSITZUNG
1. Herr Josef Mosbrugger wird als ordentliches Mitglied in die Mathematisch-natur-
wissenschaftliche Klasse gewählt.
Herr Gerd Theißen wird als ordentliches Mitglied in die Philosophisch-histo-
rische Klasse gewählt.
2. Vorbesprechung der Wahl des Präsidenten
Der Präsident teilt mit, dass Peter Graf Kielmannsegg zum Präsidenten für die
Amtsperiode 01.04.2003-31.03.2005 vorgeschlagen werde. Em entsprechender
Vorschlag der Philosophisch-historischen Klasse liege vor. Die Wahl finde am
Samstag, dem 8. Februar 2003, statt.
 
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