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Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]
Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2002 — 2003

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I. Das Geschäftsjahr 2002
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Antrittsreden
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Höffe, Otfried: Antrittsrede vom 14. Dezember 2002
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https://doi.org/10.11588/diglit.66351#0128
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Otfried Höffe

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Neuen Zürcher Zeitung hin versuchten drei Kollegen aus dem Schweizer Freiburg,
ein Philosoph, em Jurist und em Theologe, mich schon nach einem Semester von
Duisburg abzuwerben. Daß ich dem Werben nachgab, freilich erst nach dem Gast-
vortrag in der malerischen Stadt und einem Ausflug aufs Schloß Greyerz/Gruyere,
entpuppte sich als Glücksfall: familiär, kollegial und philosophisch, ferner für das
Bergsteigen und Skiläufen, nicht zuletzt für manche politische Einschätzung: etwa
daß über so existentielle Fragen wie die Währungsunion oder einen EU-Beitritt der
Türkei nicht eine Politikerklasse entscheiden sollte, sondern der Betroffene und
zugleich Souverän, also das Volk selbst.
Tübingen nennt sich die kleine große Stadt; Freiburg ist kleiner und größer
zugleich. Obwohl eine Provinzstadt, halb so groß wie Tübingen, ist sie doch ein
Kantonshauptort, also Sitz der (kantonalen) Staatsregierung. Die Stadt hat ein Kon-
servatorium, an dem meine Frau die Cembalo-Klasse aufbaute. In der Universität,
kaum em Drittel von Tübingen, verbindet sich Schweizer Bodenständigkeit mit
einer eindrucksvollen Internationalität und Interdisziplinarität. Die Internationalität
beschränkt sich keineswegs auf die drei Landessprachen. An der Philosophischen
Fakultät — von der Archäologie über die Geschichts-, Sprach- und Literaturwissen-
schaften bis zu Psychologie und Pädagogik — lehrten zur Hälfte ausländische Profes-
soren. Lud man vier Ehepaare ein, so parlierte man nicht selten in fünf Sprachen. Die
räumliche und kollegiale Nähe erlaubte, fast alle Kollegen aller Fakultäten kennen-
zulernen, überdies „tont Fribourg“, so daß man nicht in akademischer Enge verblieb.
Meine Assistenten kamen aus Italien, Afrika, Frankreich, Deutschland und der
Schweiz — und die Studenten im wörtlichen Sinn aus aller Welt. In entsprechenden
Debatten, aber auch aufgrund einer Einladung der Chinesischen Akademie der
Sozialwissenschaften zu einem Menschenrechtskolloquium keimte ein späterer
Gedanke, der von „interkulturellen Rechtsdiskursen“. Einer meiner Studenten, spä-
ter Rektor der Lateransuniversität in Rom, ist mittlerweile Patriarch von Venedig,
und der Nikolaus unserer Kinder ist Kardinal von Wien. Natürlich hatten wir nicht
bloß fromme Freunde. Der Erziehungsdirektor, also Kultur- und Wissenschaftsmini-
ster, war vorher juristischer Kollege, und em Ökonomie-Kollege wurde später
Außenminister, dann Wirtschaftsminister der Schweiz.
Interkulturell trafen sich zwei Herausforderungen mit älteren Vorlieben: daß
ich auch in Französisch, überdies die Jus-Studenten unterrichtete. Durch die regel-
mäßige Vorlesung Rechtsphilosophie angestoßen, von Rawls, vorher schon Hobbes
inspiriert, und im Hintergrund „natürlich“ Platon, Aristoteles und Kant, ein wenig
auch Hegel, versuchte ich mich in jener „Neuvermessung des Gerechtigkeitsdiskur-
ses“, die ich nach meinem Dekansjahr am Wissenschaftskolleg als Politische Gerechtig-
keit abschließen konnte.
Nicht minder eindrucksvoll war die Interdisziplinarität in Freiburg. Hier
genüge ein Beispiel: Wegen entsprechender Anfragen der Biologen und Mediziner
arbeitete ich mich in bioethische, wegen juristischer Anfragen in ökologische Themen
zu einer Zeit em, als vor allem die bioethische Debatte in Deutschland noch vor sich
hinschlummerte — und beim verspäteten Aufwachen prompt Gefahr lief, entweder
auf Abwehr oder auf Moralisierung zu schalten. Aus ersten Gelegenheitsarbeiten ent-
 
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