15. Februar 2003 | 105
demischen Tuns und die Leistungen der Forscher in Frage gestellt und oft stigmati-
siert wurden, in der vor allem - und das war besonders schmerzlich - eine tiefe Kluft
zwischen den Lehrenden und Lernenden entstand. Das Prinzip einer akademischen
Bildung, nämlich „in der Gemeinschaft der Lehrenden und Lernenden die Wahrheit
zu suchen“ (Karl Jaspers, Die Idee der Universität), zerbrach. Gadamer betonte in
seinem Jahresbericht 1969, daß die Akademie zum nahezu einzigen Hort der Ruhe
geworden sei, in der wissenschaftliche Fragestellungen mit großem Ernst und mit
großer Kompetenz intensiv diskutiert werden konnten, um neue Forschungsansätze
und Ideen zu gewinnen. Er betonte auch, daß die oft lang andauernden Projekte der
Akademie nicht nur der Erschließung und Sicherung unserer eigenen Kultur, son-
dern auch der Heranbildung jüngerer Gelehrter im rechtverstandenen Sinne einer
Nachwuchspolitik dienen.
In einem späteren Jahresbericht setzt sich Gadamer mit den Forderungen aus-
einander, die an eine so traditionsgerichtete Einrichtung, wie es eine Akademie der
Wissenschaften ist, im Zeitalter der Bildungsrevolution gestellt werden. Nicht das
Interesse an der Wissenschaft, sondern das Interesse für die Wissenschaft müsse im
Vordergrund stehen, auch das Interesse an ihren Ergebnissen, aber nur insoweit, daß
das Interesse an der praktischen Verwertung der Wissenschaft nicht vordergründig
zum Steuerungsinstrument wird. Der Augenblick des produktiven Einfalls und der
fruchtbaren Forschungsidee scheine immer seltener zu werden im Vergleich zu der
mühevollen Aneignung des Wissens, den technischen Anstrengungen, der Abhängig-
keit von äußeren Mitteln, dem Aufbau der Experimentalanordnung oder der Samm-
lung und Aufbereitung neuen Materials. „Der Wissenschaftler, diese vielsagende
Neubildung unserer Sprache bezeichnet genau die Ersatzfigur, die anstelle der alten
Selbstbezeichnung oder Betitelung als Forscher oder Gelehrter die Vorstellung eines
Betriebsangestellten herbeiruft“, so Gadamer, und nochmals: „Das Leben der Wis-
senschaft ist nicht mit dem, was man planen und organisieren und eingliedern kann,
identisch. Was anderes kann eine Akademie tun wollen? Was ist sie? Ich antworte,
eine Lebenshilfe der Forschung. Sie dient dem wesentlichen Bedürfnis, daß sich For-
scher in ihrem selbstgewählten und gewagten Alleingang gemeinsam ihrer Aufgabe
versichern und in ihr bestätigen.“
Gadamers Zeit als Präsident der Heidelberger Akademie steht für die ständige
Erhaltung und Fortentwicklung der wissenschaftlichen Qualität der Arbeiten der
Akademie und für die Verteidigung des Freiraums zum freien wissenschaftlichen Dis-
kurs über die Grenzen der Fächer hinweg. Diese Prinzipien hat er in der wissen-
schaftspolitisch schwierigen, hochbrisanten Zeit mit Festigkeit vertreten und selber
immer wieder praktiziert. Dafür gilt ihm unser besonderer Dank.
Eine Würdigung der Person von Hans-Georg Gadamer wäre unvollständig,
würde man nicht sein großes Engagement im täglichen Leben der Akademie erwäh-
nen. Er fehlte fast auf keiner Sitzung, war immer weit über die Sitzungen hinaus als
Diskussionspartner ansprechbar, auch außerhalb der Sitzungen stets bereit, mit einem
guten Rat zu helfen. Hiervon habe ich selbst des öfteren Gebrauch machen können,
in einer Zeit, in der ich noch gar nicht Mitglied dieser Akademie war. Mir ist in den
eindrucksvollen Begegnungen mit ihm bewußt geworden, daß er sich dem Diskus-
demischen Tuns und die Leistungen der Forscher in Frage gestellt und oft stigmati-
siert wurden, in der vor allem - und das war besonders schmerzlich - eine tiefe Kluft
zwischen den Lehrenden und Lernenden entstand. Das Prinzip einer akademischen
Bildung, nämlich „in der Gemeinschaft der Lehrenden und Lernenden die Wahrheit
zu suchen“ (Karl Jaspers, Die Idee der Universität), zerbrach. Gadamer betonte in
seinem Jahresbericht 1969, daß die Akademie zum nahezu einzigen Hort der Ruhe
geworden sei, in der wissenschaftliche Fragestellungen mit großem Ernst und mit
großer Kompetenz intensiv diskutiert werden konnten, um neue Forschungsansätze
und Ideen zu gewinnen. Er betonte auch, daß die oft lang andauernden Projekte der
Akademie nicht nur der Erschließung und Sicherung unserer eigenen Kultur, son-
dern auch der Heranbildung jüngerer Gelehrter im rechtverstandenen Sinne einer
Nachwuchspolitik dienen.
In einem späteren Jahresbericht setzt sich Gadamer mit den Forderungen aus-
einander, die an eine so traditionsgerichtete Einrichtung, wie es eine Akademie der
Wissenschaften ist, im Zeitalter der Bildungsrevolution gestellt werden. Nicht das
Interesse an der Wissenschaft, sondern das Interesse für die Wissenschaft müsse im
Vordergrund stehen, auch das Interesse an ihren Ergebnissen, aber nur insoweit, daß
das Interesse an der praktischen Verwertung der Wissenschaft nicht vordergründig
zum Steuerungsinstrument wird. Der Augenblick des produktiven Einfalls und der
fruchtbaren Forschungsidee scheine immer seltener zu werden im Vergleich zu der
mühevollen Aneignung des Wissens, den technischen Anstrengungen, der Abhängig-
keit von äußeren Mitteln, dem Aufbau der Experimentalanordnung oder der Samm-
lung und Aufbereitung neuen Materials. „Der Wissenschaftler, diese vielsagende
Neubildung unserer Sprache bezeichnet genau die Ersatzfigur, die anstelle der alten
Selbstbezeichnung oder Betitelung als Forscher oder Gelehrter die Vorstellung eines
Betriebsangestellten herbeiruft“, so Gadamer, und nochmals: „Das Leben der Wis-
senschaft ist nicht mit dem, was man planen und organisieren und eingliedern kann,
identisch. Was anderes kann eine Akademie tun wollen? Was ist sie? Ich antworte,
eine Lebenshilfe der Forschung. Sie dient dem wesentlichen Bedürfnis, daß sich For-
scher in ihrem selbstgewählten und gewagten Alleingang gemeinsam ihrer Aufgabe
versichern und in ihr bestätigen.“
Gadamers Zeit als Präsident der Heidelberger Akademie steht für die ständige
Erhaltung und Fortentwicklung der wissenschaftlichen Qualität der Arbeiten der
Akademie und für die Verteidigung des Freiraums zum freien wissenschaftlichen Dis-
kurs über die Grenzen der Fächer hinweg. Diese Prinzipien hat er in der wissen-
schaftspolitisch schwierigen, hochbrisanten Zeit mit Festigkeit vertreten und selber
immer wieder praktiziert. Dafür gilt ihm unser besonderer Dank.
Eine Würdigung der Person von Hans-Georg Gadamer wäre unvollständig,
würde man nicht sein großes Engagement im täglichen Leben der Akademie erwäh-
nen. Er fehlte fast auf keiner Sitzung, war immer weit über die Sitzungen hinaus als
Diskussionspartner ansprechbar, auch außerhalb der Sitzungen stets bereit, mit einem
guten Rat zu helfen. Hiervon habe ich selbst des öfteren Gebrauch machen können,
in einer Zeit, in der ich noch gar nicht Mitglied dieser Akademie war. Mir ist in den
eindrucksvollen Begegnungen mit ihm bewußt geworden, daß er sich dem Diskus-