Metadaten

Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]
Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2004 — 2004

DOI Kapitel:
I. Das Geschäftsjahr 2004
DOI Kapitel:
Jahresfeier am 15. Mai 2004
DOI Artikel:
Häfner, Heinz: Ein unzurechtnungsfähiger (?) König an einem Wendepunkt deutscher Geschichte - Ludwig II. von Bayern
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.66960#0028
Lizenz: Freier Zugang - alle Rechte vorbehalten
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
40

JAHRESFEIER

Schuldgefühle, em aussichtloser Kampf gegen homo- und autoerotische Handlungen
ziehen sich durch sein geheimes Tagebuch bis in die letzten Tage seines Lebens.3
Alle Einträge sind inhaltlich konsistent, formal klar, gelegentlich mit tele-
grammstil-ähnlichen Abkürzungen geschrieben, ohne Zeichen von Geistesschwäche
oder Wahn.
Ludwigs Beziehungen zu Frauen waren spärlich: ausgenommen seine Begei-
sterung für einige Schauspielerinnen, schwärmerisch-lyrischen Begegnungen mit
seiner narzisstischen Cousine Kaiserin Elisabeth und nächtelangen Konversationen
mit ihrer Schwester Sophie-Charlotte, Prinzessin in Bayern. Sie sang ihm Arien aus
Wagneropern vor.
Am 22. Januar 1867, zwischen 12 Uhr und 1 Uhr nachts bat er sie brieflich um
ihre Hand: „die Knospe, die ... in meiner Seele keimte, ist aufgegangen, ist Liebe zu Dir,...
willst Du meine Gattin werden? Genossin meines Thrones, Königin von Bayern?“.
Am Morgen traf das Jawort Sophies ein. Hof, Regierung und Bevölkerung
waren begeistert. Em großartiges Hochzeitsfest wurde vorbereitet, eine prachtvolle
Hochzeitskutsche angefertigt. Papst Pius IX. erteilte Heiratsdispens. Ludwig verschob
den Termin. Vor ein Ultimatum des Brautvaters gestellt, wählte er die Auflösung. Er
bekannte seiner Braut, jene Liebe, die zur Vereinigung in der Ehe erforderlich sei,
habe er nicht empfinden können. In sein Tagebuch schrieb er: „Aifleben nach qual-
vollem Alb
Ludwig II. und Richard Wagner
Für die Empfindsamkeit des jungen Kronprinzen, seine Abkehr von der realen und
seine Neigung zur phantastischen Welt der Herrscher und Helden waren Inhalt und
schwülstiges Pathos von Richard Wagners Musiktheater eine Offenbarung.
Unmittelbar nach seiner Thronbesteigung holte er Wagner nach München, för-
derte ihn persönlich und finanzierte ihn mit außergewöhnlicher Großzügigkeit auch
nachdem Wagner Ende 1865 Bayern aus guten Gründen wieder verlassen mußte.
Ludwig verehrte, vergötterte und liebte Richard Wagner, der seinerseits mit großen
Worten nicht geizte und seine erste Audienz bereits als „große nicht enden wollen-
de Liebesszene“ [R.Hacker, 1972, S. 64] beschrieb.
Ludwigs Wagnerverehrung enthielt zweifellos ein erotisches Element, auch
und gerade weil sie eine Art abgöttischer Sohnesliebe zu einem Vateridol war.4

3 27. Januar 1886: „Den Sinnen tödlicher Haß! Keine Küsse mehr seit gestern abend,... “ l.Juni 1886.:
„endgültig letzter Sündenfall, 2 Monate 3 Wochen vor 41 (41. Geburtstag am 25. 8. 1886). Denken Sie
daran, Sire, denken Sie daran, denken Sie daran, künftig nie mehr! Von nun an künftig nie mehr!! Künf-
tig nie mehr!!! Geschworen im Namen des großen Königs und die machtvolle Hilfe des Erlösers anrufend.
Linderhof. Louis.“ 7. Juni 1886 (Todestag 13.6.1886): „Ich schwöre es im Namen des Königs der
Könige. “
4 Ludwig schrieb beispielsweise an R. Wagner: „Geliebter, Heiliger! Einem Funken bin ich gleich,
der sich sehnt, in Ihrer Strahlensonne aufzugehen, von ihr beschienen zu werden und die Erde
zu verlassen, wenn Sie ihr nicht mehr leuchtet... O, wäre der Abend schon da, senkte sich doch
die Sonne, käme der Mond, strahlten die Sterne, zum Zeichen, daß die Wonnen ihr Weben begin-
nen! -Ach was ich glücklich bin! — In ewiger Liebe Ihr bis in den Tod getreuer, glückseliger Lud-
wig [R. Hacker, 1972, S. 74/75].
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften