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Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]
Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2005 — 2006

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III. Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses: Das WIN-Kolleg
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2. Forschungsschwerpunkt "Kulturelle Grundlagen der Europäischen Einigung"
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https://doi.org/10.11588/diglit.67593#0259
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FÖRDERUNG DES WISSENSCHAFTLICHEN NACHWUCHSES

sen sind. Andererseits zeigte er am aktuellen Beispiel des Streits im Europaparlament
über die Erinnerung an die Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz, wie
wichtig gemeinsame institutionelle Bedingungen für die Herausbildung gemeinsa-
mer Verständigung sind. Es wird deutlich: (1) Zwischen Deutschland und Frankreich
entstehen die entscheidenden Schritte zur Weiterentwicklung der Selbstthematisie-
rung erst aus der konkreten institutionellen Notwendigkeit. Dieser Notwendigkeit
sieht sich Deutschland bereits in den fünfziger Jahren ausgesetzt, um staatliches Han-
deln seinerseits überhaupt erst wieder zu legitimieren. Dagegen findet in Frankreich
die Auseinandersetzung mit dem eigenen überkommenen nationalen Narrativ erst in
den achtziger Jahren statt, als der Übergang zu Mehrheitsentscheidungen auf europäi-
scher Ebene eine differenzierte Kategorisierung des Selbst und des Anderen erforder-
te. (2) Auf europäischer Ebene zeigt sich die seit fünfzig Jahren andauernde sozialisie-
rende Wirkung dieser Institutionen, sobald der entstandene „europäische“ Identitäts-
diskurs mit den Selbstthematisierungen der „neuen“ Mitglieder konfrontiert wird.
Für sie spielen die Wahrnehmungen in vornehmlich nationalen Kategorien und vor
allem das erneute Bekenntnis der „Täter“ zu ihrer Schuld eine ungleich wichtigere
Rolle, als dies für die etablierten Mitglieder zu diesem Zeitpunkt der Fall ist.
Im deutsch-französischen Terrain der Nachkriegszeit bewegte sich auch der
Vortrag von Ingo Stockmann, der die Nachkriegsessayistik des ehemaligen Besat-
zungsoffiziers, aber im Nachbarland hoch geachteten Ernst Jünger zum Thema hatte.
Als Literaturwissenschaftler konzentrierte sich Stockmann, nach einer Kontextuali-
sierung des Problemhorizonts der Nachkriegsliteratur am Beispiel Klaus Manns, vor
allem auf die textuellen Strategien, mit denen Jünger seine seit jeher ausgreifende
Zeitdiagnostik auch nach der Epoche der Weltkriege weiter betrieb. Weit entfernt,
die Tradition vorrangig politischer Bewertungen des Autors fortzusetzen, weist er
eindrücklich nach, dass Jüngers Essayistik von den historischen Verwerfungen und
biographischen Brüchen in ihrer Tiefenstruktur unbeeindruckt bleibt. Jünger setzt
sein selbstbewusstes Sehertum im Wesentlichen fort, das sich auf die syntagmatische
Verknüpfung disparater Phänomenbestände zu bedeutungsgeladenen Konstellatio-
nen kapriziert, die einen transanthropologischen Geschichtssinn exponieren. Die
programmatischen Veränderungen, die Stockmann nicht unterschlägt, erscheinen
demnach zweitrangig für eine Einschätzung Jüngerscher Autorschaft.
Zeigte also Stockmann, wie Ernst Jünger mit großer Beharrlichkeit planeta-
rische Geschichten entwirft, die das Handeln des Menschen unter ihr Gesetz zwin-
gen, so beleuchtete Heike Kämpf aus philosophischer Perspektive die Kehrseite aller
modernen Selbstverständigungsprozesse, die aus jeder Selbstverständlichkeit heraus-
fuhren und in eine umfassende Dezentrierung münden. Allein die öffentliche
Thematisierung von Identitätsfragen in wiederkehrenden Schüben zeigte in ihrer
Perspektive den Verlust fragloser Identität an. Anstatt am Begehren kollektiv binden-
der Selbstbeschreibungen festzuhalten, gilt es Kämpf deshalb, das Scheitern produk-
tiv zu wenden und Konzepte offener Identität zu erarbeiten, wie sie sich — in Fort-
entwicklung der Hermeneutik — bei Habermas und Derrida angedeutet finden.
Die historische Strukturierung der im Entstehen begriffenen Selbstverständi-
gungsdiskurse Europas sowie das darauf aufbauende europäische Gemeinwesen sind
 
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