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ANTRITTSREDEN
den ländlichen Raum in Süddeutschland und in zahlreichen sozialen Engagements
verwirklicht. Der Mutter kommt unter anderem das Verdienst zu, mich zwischen
12 und 14, als mir anderes wichtiger war, über die Klippen eines Klavierunterrichts
ohne Üben gebracht zu haben.
Am ehemaligen Großherzoglich-badischen humanistischen Gymnasium, dem
Bismarckgymnasium, wurden wir auch mit dem Elitegedanken vertraut gemacht,
einem Begriff, den unsere Gesellschaft lange nicht mehr in den Mund genommen
hat und der uns jetzt bei der Diskussion um die Hochschulfmanzierung nicht nur
Freude bereitet. Mein Griechischlehrer hat das Leitmotto Spartas: „Der nicht
geschundene Mensch wird nicht erzogen“ in „Nur das geprüfte Leben ist lebens-
wert“ umgewandelt, heute würden wir sagen: „Nur das evaluierte Leben ist lebens-
wert“. Dieses Gymnasium hat neben Musik (Wolfgang Riehm saß häufig gelang-
weilt neben mir in der Schulbank) und alten Sprachen großen Wert auf Naturwis-
senschaften gelegt. Ich war begeisterter Anhänger unseres Chemielehrers und der
von ihm vertretenen Materie, habe die Silvesterfeiern meiner Eltern durch Chemie-
kasten-Events angereichert und mich auch an „Jugend forscht“ versucht. Die mate-
riell fassbaren exakten Wissenschaften, insbesondere die Welt der Moleküle, aber
auch die Frage, „Was bin ich und wie denkt und empfindet man warum?“, also die
„Psychowissenschaften“ haben mich sehr fasziniert. Wie aber entscheidet man sich
zwischen Chemie und Psychologie?
Ich habe mich für die Kombination, also für die Medizin entschieden und
zunächst 1971 in Ulm begonnen, früh sowohl an speziellen Biochemie-Seminaren
als auch an Psychosomatik-Studentengruppen teilgenommen und versucht zu ver-
stehen, wie körperliches Leiden mit psychischen Veränderungen zusammenhängt.
Die Psychotherapiekonzepte waren mir zu wenig stofflich, die Stofflichkeit der Psy-
cho-Neurowissenschaften damals zwar behauptet, aber so gut wie nicht vorhanden.
Es fehlten die Moleküle und damit die Sprache, die Vorgänge naturwissenschaftlich
zu beschreiben. Nach einem Intermezzo im damaligen Mekka der Neurophysiolo-
gie in Freiburg wechselte ich 1975 nach Heidelberg. Wie jeder Medizinstudent
mit dem Herz am richtigen Fleck wollte ich natürlich, aber nur kurz, auch einmal
Chirurg werden. Aber dann bin ich auf der Suche nach einer Dissertationsarbeit auf
die Immunologie gestoßen. Schien mir genauso kompliziert wie das Nervensystem,
war aber zumindest damals gerade fassbar geworden. Dabei bin ich im Grunde
geblieben.
Nun ist Immunologie, also das Verständnis der Körperabwehrvorgänge, eine
medizinische Querschnittsdisziplin, die lange immer als Erklärung für Krankheiten
herangezogen wurde und wird, deren Ursachen man nicht kannte oder kennt:
gestörte Abwehr, fehlgeleitete Abwehr, Abwehschwäche etc. „Stärken Sie Ihre
Abwehr mit XY“ kann man zu Zeiten an jeder Apotheke lesen. Dieser Populismus
hat der Disziplin nicht geschadet, sie hat mehrere Nobelpreisträger hervorgebracht
und ist heute in der Tat eine Grundlagendisziplin der Medizin, von der wir Antwor-
ten auf die Frage nach dem Mechanismus chronischer Erkrankungen und neue
Therapiekonzepte auch und gerade in der Tumorbehandlung erhoffen. Schließlich
sind auch neue Medikamente in Form von Antikörpern das Ergebnis von über 20
ANTRITTSREDEN
den ländlichen Raum in Süddeutschland und in zahlreichen sozialen Engagements
verwirklicht. Der Mutter kommt unter anderem das Verdienst zu, mich zwischen
12 und 14, als mir anderes wichtiger war, über die Klippen eines Klavierunterrichts
ohne Üben gebracht zu haben.
Am ehemaligen Großherzoglich-badischen humanistischen Gymnasium, dem
Bismarckgymnasium, wurden wir auch mit dem Elitegedanken vertraut gemacht,
einem Begriff, den unsere Gesellschaft lange nicht mehr in den Mund genommen
hat und der uns jetzt bei der Diskussion um die Hochschulfmanzierung nicht nur
Freude bereitet. Mein Griechischlehrer hat das Leitmotto Spartas: „Der nicht
geschundene Mensch wird nicht erzogen“ in „Nur das geprüfte Leben ist lebens-
wert“ umgewandelt, heute würden wir sagen: „Nur das evaluierte Leben ist lebens-
wert“. Dieses Gymnasium hat neben Musik (Wolfgang Riehm saß häufig gelang-
weilt neben mir in der Schulbank) und alten Sprachen großen Wert auf Naturwis-
senschaften gelegt. Ich war begeisterter Anhänger unseres Chemielehrers und der
von ihm vertretenen Materie, habe die Silvesterfeiern meiner Eltern durch Chemie-
kasten-Events angereichert und mich auch an „Jugend forscht“ versucht. Die mate-
riell fassbaren exakten Wissenschaften, insbesondere die Welt der Moleküle, aber
auch die Frage, „Was bin ich und wie denkt und empfindet man warum?“, also die
„Psychowissenschaften“ haben mich sehr fasziniert. Wie aber entscheidet man sich
zwischen Chemie und Psychologie?
Ich habe mich für die Kombination, also für die Medizin entschieden und
zunächst 1971 in Ulm begonnen, früh sowohl an speziellen Biochemie-Seminaren
als auch an Psychosomatik-Studentengruppen teilgenommen und versucht zu ver-
stehen, wie körperliches Leiden mit psychischen Veränderungen zusammenhängt.
Die Psychotherapiekonzepte waren mir zu wenig stofflich, die Stofflichkeit der Psy-
cho-Neurowissenschaften damals zwar behauptet, aber so gut wie nicht vorhanden.
Es fehlten die Moleküle und damit die Sprache, die Vorgänge naturwissenschaftlich
zu beschreiben. Nach einem Intermezzo im damaligen Mekka der Neurophysiolo-
gie in Freiburg wechselte ich 1975 nach Heidelberg. Wie jeder Medizinstudent
mit dem Herz am richtigen Fleck wollte ich natürlich, aber nur kurz, auch einmal
Chirurg werden. Aber dann bin ich auf der Suche nach einer Dissertationsarbeit auf
die Immunologie gestoßen. Schien mir genauso kompliziert wie das Nervensystem,
war aber zumindest damals gerade fassbar geworden. Dabei bin ich im Grunde
geblieben.
Nun ist Immunologie, also das Verständnis der Körperabwehrvorgänge, eine
medizinische Querschnittsdisziplin, die lange immer als Erklärung für Krankheiten
herangezogen wurde und wird, deren Ursachen man nicht kannte oder kennt:
gestörte Abwehr, fehlgeleitete Abwehr, Abwehschwäche etc. „Stärken Sie Ihre
Abwehr mit XY“ kann man zu Zeiten an jeder Apotheke lesen. Dieser Populismus
hat der Disziplin nicht geschadet, sie hat mehrere Nobelpreisträger hervorgebracht
und ist heute in der Tat eine Grundlagendisziplin der Medizin, von der wir Antwor-
ten auf die Frage nach dem Mechanismus chronischer Erkrankungen und neue
Therapiekonzepte auch und gerade in der Tumorbehandlung erhoffen. Schließlich
sind auch neue Medikamente in Form von Antikörpern das Ergebnis von über 20