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Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]
Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2006 — 2006

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I. Das Geschäftsjahr 2006
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Antrittsreden
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Schneidmüller, Bernd: Antrittsrede vom 10. Juni 2006
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https://doi.org/10.11588/diglit.66961#0115
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Bernd Schneidmüller

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Der Wechsel an die Universität Heidelberg 2003 brachte Veränderungen.
Die Zäsuren in der Neuausrichtung meiner Arbeit halten mich derzeit noch in
Atem. Ich hatte das große Glück, mit einem Teilprojekt zur Ritualisierung politi-
scher Willensbildung im spätmittelalterlichen Europa in den Sonderforschungsbe-
reich 619 „Ritualdynamik“ aufgenommen zu werden. Nach der in Bamberg auf
das abendländische Mittelalter bezogenen Interdisziplinarität erhalte ich hier in Hei-
delberg im Gespräch mit Ethnologen und Asienwissenschaftlern entscheidende
Impulse für mein europäisches Fach. Die mittelalterliche Geschichte entdeckte in
den letzten Jahren zunächst die Anthropologie für sich. Jetzt hilft ihr der ethnologi-
sche Blick, geradlinige Kontinuitäten zu unseren mittelalterlichen Vorfahren zu zer-
schneiden und aus der Alterität neue Einsichten zu gewinnen. Hier sehe ich das
größte Innovationspotential meiner gegenwärtigen Interessen, Mittelalter nicht
mehr nur aus Deutungsmustern neuzeitlicher Institutionalisierung zu beschreiben,
sondern aus einem Gefüge fremder Zeichen, Symbole und Muster. Diese neue Ferne
provoziert, weil die ethnographischen Perspektiven abendländische Deutungshohei-
ten auflösen und das europäische Mittelalter in eine ferne Ebene rücken — man
könnte zuspitzen: fast wie die Kultur der Seidenstraße oder Polynesiens. Die Medi-
aevistik wird sich stimulieren lassen, weil sie zuletzt auch den Aufbruch aus nationa-
len Verengungen aushielt.
Diese Internationalisierung markiert mein zweites aktuelles Arbeitsfeld. Mit
Michael Borgolte von der Humboldt-Universität bin ich Sprecher des soeben von
der Deutschen Forschungsgemeinschaft auf sechs Jahre eingerichteten Schwer-
punktprogramms 1193 „Integration und Desintegration der europäischen Kulturen
im Mittelalter“. Es ist das erste mediaevistische SPP seit den Nationes meiner
wissenschaftlichen Anfänge in den 70er Jahren. Wir studieren die unterschiedliche
Prägekraft der drei monotheistischen Großreligionen Judentum, Christentum und
Islam in ihren spezifisch mittelalterlichen Gemengelagen, Kontaktzonen und Kon-
fliktpotentialen. Das sind freilich noch Zukunftshoffnungen. Ich möchte mir dabei
vor allem meine Freude an Ironie und Selbstironie bewahren. Diese Selbstironie
zähle ich zu den wichtigsten Tugenden eines Wissenschaftlers, der zwischen Wich-
tigkeit und Endlichkeit seiner Arbeit lächelnd einen richtigen Weg finden muss.
Heute danke ich Ihnen sehr für die Zuwahl in die Heidelberger Akademie der
Wissenschaften. Sie haben mir damit großes Vertrauen entgegengebracht. Ich hoffe,
dass ich hier meine Arbeit in neue Zusammenhänge einbringen kann.
 
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