Metadaten

Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]
Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2006 — 2006

DOI Kapitel:
I. Das Geschäftsjahr 2006
DOI Kapitel:
Antrittsreden
DOI Artikel:
Wetterich, Christof: Antrittsrede vom 10. Juni 2006
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.66961#0116
Lizenz: Freier Zugang - alle Rechte vorbehalten

DWork-Logo
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
128

ANTRITTSREDEN

Antrittsrede von Herrn CHRISTOF WETTERICH
an der Heidelberger Akademie der Wissenschaften vom 10. Juni 2006.

Sehr geehrter Herr Präsident,
meine Damen und Herren,
über mich selbst zu sprechen, ist ein bisschen unge-
wohnt. So habe ich einmal versucht, mich sozusagen
„von außen“ zu betrachten. Als Diagnose kam mir in
den Sinn: „Realitätsferne, moderat krankhafte Wahn-
vorstellungen, er könne den Grundlagen einer
Erklärung der Naturgesetze auf die Spur kommen.“
Also kurz: „Der Mann hat eine Physikneurose!“
Was treibt mich eigentlich an? Es ist wirklich die
Neugier, der Wunsch, ein großes kohärentes Bild der
Natur zu haben und vielleicht dazu beitragen zu können. Dabei gibt es drei über-
greifende Themenfelder meines Denkens: als erstes die Vereinheitlichung der
Naturgesetze, der Versuch, Quantenfeldtheorie und Gravitation zusammen zu brin-
gen; sodann die Suche nach einem kohärenten Modell der Entstehung und Ent-
wicklung des Universums; und als drittes die Einheit des theoretischen Gebäudes der
Physik.
Zum zweiten Punkt werde ich Ihnen in einigen Wochen mehr erzählen, so
dass ich mir für heute über meine Forschung zum ersten Themenfeld einige Gedan-
ken gemacht habe. Das Ergebnis ist etwas ernüchternd: Nach fast 30 Jahren Mühen
gibt es eigentlich nichts Hartes, nichts, von dem man sagen könnte: „Das ist wahr,
das ist bestätigt, so und nicht anders ist die Natur.“ Vielleicht hatte ich einige krea-
tive Ideen, manchmal auch von Kollegen anerkannt, oft auch vergessen, vielleicht
daneben, vielleicht zu früh. Aber zwischen Idee und wirklicher Erkenntnis klafft eine
große Lücke.
Ich möchte Ihnen gerne ein Beispiel geben. Als ich dreißig war, nannten mich
manche halb anerkennend, halb spöttisch „Mister higher dimensions“, weil ich
davon überzeugt war, dass die Welt zusätzlich zu den drei bekannten Raumdimen-
sionen noch weitere verborgene Dimensionen hat. Man kann diese nur deshalb nicht
sehen, weil sie zu klein sind — ähnlich wie bei einem Blatt Papier, bei dem Sie schon
recht genau hinsehen müssen, um die dritte Dimension (das Volumen) zu erkennen.
Viele interessante Möglichkeiten einer Vereinheitlichung der Gravitation mit den
anderen Wechselwirkungen sind mit dieser Vorstellung verbunden. Aber leider gibt
es keinen Test durch Beobachtungen. Heute hoffen zwar manche Theoretiker, man
könne die „höheren Dimensionen“ vielleicht schon mit dem nächsten Beschleuni-
ger, dem LHC in Genf, sehen. Aber man hat die Modelle natürlich entsprechend
zurechtgebogen. Es ist nicht unmöglich, und offensichtlich sollte man nachschauen.
Aber wenn nichts derartiges gefunden wird, dann wird es einfach heißen: „Leider ist
die verborgene Welt halt doch noch kleiner.“.
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften