10.Juni 2006
75
Gesamtsitzung am 10. Juni 2006
GESCHÄFTSSITZUNG
In der Philosophisch-historischen Klasse werden Ronald Asch (Neuere Geschichte/
Freiburg), Michael Welker (Systematische Theologie, Dogmatik/Heidelberg) und
Bernhard Zimmermann (Klassische Philologie/Freiburg), in der Mathematische-
naturwissenschaftlichen Klasse Peter Hofmann (Organische Chemie/Heidelberg) und
Bernhard Keimer (Physik/Stuttgart) zu neuen Mitgliedern der Akademie gewählt.
WISSENSCHAFTLICHE SITZUNG
Die Herren Klaus-Michael Debatin, Bernd Schneidmüller und Christof Wetterich
halten ihre Antrittsreden.
Frau Silke Leopold hält einen Vortrag: „Komponieren im Rentenalter. Über die
Kategorie des Spätwerks in der Musik“.
Spätwerke, Alterswerke, Reifezeit - die Musikwissenschaft hat viele diffuse Begriffe
für jene Werke, die ein Komponist am Ende seines Lebens schrieb, unabhängig
davon, wie lang dieses Leben währte und wie abrupt oder langfristig es endete. So
vielfältig wie die Begriffe sind auch die Werke, die in der Musikgeschichtsschreibung
traditionell mit der Kategorie „Spätwerk“ in Verbindung gebracht werden. Bachs
Kunst der Fuge und Beethovens späte Streichquartette zählen dazu ebenso wie
Mozarts Zauberflöte oder Schuberts Heine-Lieder. Seit Theodor W. Adorno ist der
Begriff Spätwerk in der Musikwissenschaft vor allem eine kompositionsgeschichtli-
che Kategorie. In seinem Aufsatz Der Spätstil Beethovens aus dem Jahre 1937 stellte
er fest: „Die Reife der Spätwerke bedeutender Künstler gleicht nicht der von Früch-
ten. Sie sind gemeinhin nicht rund, sondern durchfurcht, gar zerrissen; [...] es fehlt
ihnen all jene Harmonie, welche die klassizistische Ästhetik vom Kunstwerk zu for-
dern gewohnt ist, und von Geschichte zeigen sie mehr die Spur als vom Wachstum.“
Und später heißt es: „In der Geschichte von Kunst sind Spätwerke die Katastro-
phen.“ Dieser auf die Beschaffenheit des einzelnen Werks bezogenen Definition
setzte Carl Dahlhaus, Adornos gewärtig, in seinem Beethoven-Buch von 1987 eine
auf die historische Position des Werkes bezogene Definition entgegen. Ein Spätwerk
sei „bereits bei seiner Entstehung der Zeit, der es äußerlich angehört, innerlich ent-
fremdet“. Eine derartige „chronologische Ortlosigkeit“, wie Dahlhaus es nannte, ist
jedoch auch zahlreichen Werken eigen, die nicht unter dem Label „Spätwerk“ fir-
mieren können, - man denke etwa an frühe Madrigale Monteverdis wie „Cantai un
tempo“ von 1590 oder an Mozarts Dissonanzen-Quartett, um nur zwei von zahllo-
sen Beispielen zu nennen. Was freilich alle die genannten Beispiele verbindet, ist die
Tatsache, daß sie ohne Auftrag, also gleichsam um ihrer selbst willen und ohne
Rücksichten auf eine musikalische Öffentlichkeit konzipiert wurden. Insofern lohnt
es sich doch, auch die biographische Komponente hinsichtlich des Spätwerks in
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Gesamtsitzung am 10. Juni 2006
GESCHÄFTSSITZUNG
In der Philosophisch-historischen Klasse werden Ronald Asch (Neuere Geschichte/
Freiburg), Michael Welker (Systematische Theologie, Dogmatik/Heidelberg) und
Bernhard Zimmermann (Klassische Philologie/Freiburg), in der Mathematische-
naturwissenschaftlichen Klasse Peter Hofmann (Organische Chemie/Heidelberg) und
Bernhard Keimer (Physik/Stuttgart) zu neuen Mitgliedern der Akademie gewählt.
WISSENSCHAFTLICHE SITZUNG
Die Herren Klaus-Michael Debatin, Bernd Schneidmüller und Christof Wetterich
halten ihre Antrittsreden.
Frau Silke Leopold hält einen Vortrag: „Komponieren im Rentenalter. Über die
Kategorie des Spätwerks in der Musik“.
Spätwerke, Alterswerke, Reifezeit - die Musikwissenschaft hat viele diffuse Begriffe
für jene Werke, die ein Komponist am Ende seines Lebens schrieb, unabhängig
davon, wie lang dieses Leben währte und wie abrupt oder langfristig es endete. So
vielfältig wie die Begriffe sind auch die Werke, die in der Musikgeschichtsschreibung
traditionell mit der Kategorie „Spätwerk“ in Verbindung gebracht werden. Bachs
Kunst der Fuge und Beethovens späte Streichquartette zählen dazu ebenso wie
Mozarts Zauberflöte oder Schuberts Heine-Lieder. Seit Theodor W. Adorno ist der
Begriff Spätwerk in der Musikwissenschaft vor allem eine kompositionsgeschichtli-
che Kategorie. In seinem Aufsatz Der Spätstil Beethovens aus dem Jahre 1937 stellte
er fest: „Die Reife der Spätwerke bedeutender Künstler gleicht nicht der von Früch-
ten. Sie sind gemeinhin nicht rund, sondern durchfurcht, gar zerrissen; [...] es fehlt
ihnen all jene Harmonie, welche die klassizistische Ästhetik vom Kunstwerk zu for-
dern gewohnt ist, und von Geschichte zeigen sie mehr die Spur als vom Wachstum.“
Und später heißt es: „In der Geschichte von Kunst sind Spätwerke die Katastro-
phen.“ Dieser auf die Beschaffenheit des einzelnen Werks bezogenen Definition
setzte Carl Dahlhaus, Adornos gewärtig, in seinem Beethoven-Buch von 1987 eine
auf die historische Position des Werkes bezogene Definition entgegen. Ein Spätwerk
sei „bereits bei seiner Entstehung der Zeit, der es äußerlich angehört, innerlich ent-
fremdet“. Eine derartige „chronologische Ortlosigkeit“, wie Dahlhaus es nannte, ist
jedoch auch zahlreichen Werken eigen, die nicht unter dem Label „Spätwerk“ fir-
mieren können, - man denke etwa an frühe Madrigale Monteverdis wie „Cantai un
tempo“ von 1590 oder an Mozarts Dissonanzen-Quartett, um nur zwei von zahllo-
sen Beispielen zu nennen. Was freilich alle die genannten Beispiele verbindet, ist die
Tatsache, daß sie ohne Auftrag, also gleichsam um ihrer selbst willen und ohne
Rücksichten auf eine musikalische Öffentlichkeit konzipiert wurden. Insofern lohnt
es sich doch, auch die biographische Komponente hinsichtlich des Spätwerks in