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Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]
Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2006 — 2006

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I. Das Geschäftsjahr 2006
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Rösing, Ina: Friedrich Vogel (8.3.1925-5.8.2006)
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https://doi.org/10.11588/diglit.66961#0154
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NACHRUFE

im deutschen Sprachraum“ die Rede, der unter den Humangenetikern „weltweite
Anerkennung“ und „internationale Achtung“ genieße. Unter seinen Verdiensten
wird besonders auch auf das Taschenbuch (zusammen mitW. Fuhrmann) zur „Gene-
tischen Familienberatung“ verwiesen, das drei deutsche, drei englische und zwei
japanische Auflagen erlebte und außerdem in spanisch, italienisch, portugiesisch und
polnisch erschien. Auch werden seine vielen Ehrungen erwähnt: der Hans Berger
Preis, die Wahl in die Leopoldina, die Ehrenmitgliedschaft in der Japanischen Gesell-
schaft für Humangenetik, die Ehrendoktorwürde der FU Berlin, die Wahl zum
Fellow des Center for Advanced Studies in the Behavioural Sciences in Stanford,
Kalifornien und seine Tätigkeit als Generalsekretär des 7. Internationalen Kongresses
für Humanmedizin. 1990 hielt Friedrich Vogel dann in der Akademie seine Antritts-
rede. Darin beleuchtet er seine Gründe für seine Entscheidung, statt des gewünsch-
ten Faches Ethnologie doch Medizin zu studieren, und für seine (wie er es selbst
nennt) „antizyklische“ Entscheidung, 1953 in die Humangenetik zu gehen. Er
bezeichnete sich selbst als Generalist, der immer wieder auch zurücktrat, um über die
allgemeinen Grundlagen des Faches nachzudenken. Friedrich Vogel hat auch zum
wissenschaftlichen Leben der Akademie beigetragen. Er war 1995 bis 1999 Sekretär
der Mathematisch-naturwissenschaftlichen Klasse, hielt 1990 einen Vortrag über
„Humangenetik und Konzepte der Krankheit“, 1996 über „Das Genom des Men-
schen und seine Analyse“ und 2000 über „Erbe und Umwelt bei der Erzeugung von
Intelligenzunterschieden in unserer Bevölkerung“.
Diesem biographischen Gerüst möchte ich einige persönliche Erinnerungen
anfügen. Als ich in den siebziger Jahren als erst fünf Jahre promovierte Jungwissen-
schaftlerin mit Tonbandgerät und 70 Leitfragen zu seiner Person, seiner Forschung,
seinen Forschungsplänen, zur Lage des Faches usw. zu ihm ins Institut kam, war mir
ungemütlich zumute. Ich hatte schon viel von diesem großen Mann gehört. Er sei
knallhart, er sei blitzschnell, er wisse alles, er sei arrogant. Es wurde ein mehrstündi-
ges Gespräch. Arrogant? Keine Spur. Er war offen, hatte jede Menge Zeit, er hatte
Geduld für jede Frage, genug Tee für mehrere Stunden. Knallhart? Die Urteile, die
er über diejenigen Kollegen innerhalb und außerhalb seines Faches fällte, die seinem
Maßstab der Qualität nicht entsprachen, waren in der Tat knallhart. Ebenso hart
waren die Urteile über langweilige Forschungsgegenstände, unproduktive Fachstrate-
gien, zähe Rückwärtsblicke und Defizite an Vision. Blitzschnell — auch das konnte ich
bestätigen. Nie ein Zögern bei der Antwort, jedes Datum, jedes Ereignis, jeden Ort
hatte er sofort parat. Er wusste viel, keine Frage. Er hatte sehr klare Urteile über die
bisherige und künftige Entwicklung seines Faches, über die Gründe von wissen-
schaftlichem Fortschritt und wissenschaftlicher Stagnation und über die Kriterien
guter Forschung.
Mehr aber als sein unfraglich umfassendes Wissen hat mich beeindruckt, wie
er mit „Nicht-Wissen“ umging. Keiner meiner damaligen 59 Gesprächspartner
außer ihm hat mich so neugierig und ehrlich interessiert nach dem Fach gefragt,
Wissenschaftssoziologie, aus dem dieses Forschungsprojekt erwuchs, keiner hat so
eingehend nach der Begründung bestimmter Fragen, nach den vorgesehenen Aus-
wertungsansätzen, nach dem potentiellen Erkenntnisgewinn gefragt wie Friedrich
 
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