Das WIN-Kolleg
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In die frühneuzeitliche Weiterentwicklung des Erfahrungsbegriffes ordnet sich
auch und gerade der programmatisch ‘humanistische’ Rekurs auf die Quellen des
Wissens ein. Dies gilt für die politisch-theoretische Reflexion, die sich namentlich
die historiographische Literatur als Reservoir literarisch vermittelten Erfahrungswis-
sens erschließt, aber insbesondere auch für die Medizin. Beispielhaft wird dies an
humanistischen Bemühungen um den „Canon“ des Avicenna untersucht, — jahr-
hundertelang das wichtigste medizinische Lehrwerk sowohl im Orient als auch in
Europa. Bereits die Venezianer Ärzte Andrea Alpago (gest. 1522) und Benedetto
Rinio (gest. 1566) haben den Versuch unternommen, Avicennas Quellen und Vor-
lagen sowie seine Vorgehensweise im Umgang mit diesen Quellen systematisch zu
erschließen. Ihre umfassenden „Canon“-Glossierungen bilden deshalb den Aus-
gangspunkt für die Beschreibung professioneller Wissenschaft als eines komplexen,
mehrstufigen Prozesses der Rezeption und interpretierenden Verarbeitung von auto-
ritativen Vorlagen: Frühneuzeitliche ‘akademische’ Mediziner gehen im Streben nach
der Erweiterung ihres medizinischen Sac/zwissens und in der Auseinandersetzung mit
bloßen Avicenna-Interpretationen auf die Autorität selbst zurück, und zwar indem
sie Avicennas Vorlagen freilegen: Die Rekonstruktion der Vermittlungs- und Trans-
formationsprozesse ermöglicht dabei dem Anspruch frühneuzeitlicher Gelehrsamkeit nach
die Abstraktion von der bloß re-interpretativen Denkbewegung und macht Wissen-
sinhalte als vermittelte Erfahrung zugänglich. Daß dabei zugleich die europäische
Medizin durch ihre islamische Autorität hindurch neu auf ihre antiken Fundamente
befragt wird, ermöglicht zugleich die interkulturelle Konturierung der Fragestellung
der Projektgruppe (RaphaelaVeit).
Gerade dieser Aspekt steht im Fokus, wenn innerhalb des Projektes, ausgehend
von der Auswertung literarischer Quellen, besonders persischer und arabischer Witze
und humoristischer Anekdoten des 14. bis 16. Jahrhunderts (d. h. zeitlich parallel zu
den europäischen Untersuchungsgegenständen), die Wahrnehmung und Bewertung
religiöser Gelehrter und Autoritäten im Islam erforscht wird, die verschiedene Typen
von Gelehrsamkeit mit unterschiedlich starker Einbindung in gesellschaftliche Funk-
tionen verkörpern und damit unterschiedliche Stufen und Elemente von wissen-
schaftlicher Professionalität repräsentieren. Konsequenzen für die Einbindung der
Religionsgelehrten in die Gesellschaft und ihre soziale Position sowie zum Verhält-
nis von Gelehrsamkeit und politischer Macht stehen - zurückgreifend bis in das für
spätere Entwicklungen prägende 11. Jahrhundert — derzeit im Zentrum des For-
schungsinteresses (Susanne Kurz).
Dabei hat sich bereits erwiesen, daß ein Konzept von Professionalität, wie es
sich auf der Grundlage der europäischen Verhältnisse entwickeln läßt, nicht ohne
erhebliche Modifikationen auf den Kontext der islamischen Kultur übertragen wer-
den kann. Dieser Vergleich bestätigt somit die kulturelle Spezifität des professionel-
len Verständnisses wissenschaftlichen Wissens im Spannungsfeld von Selbstzweckhaf-
tigkeit und Funktionalität.
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In die frühneuzeitliche Weiterentwicklung des Erfahrungsbegriffes ordnet sich
auch und gerade der programmatisch ‘humanistische’ Rekurs auf die Quellen des
Wissens ein. Dies gilt für die politisch-theoretische Reflexion, die sich namentlich
die historiographische Literatur als Reservoir literarisch vermittelten Erfahrungswis-
sens erschließt, aber insbesondere auch für die Medizin. Beispielhaft wird dies an
humanistischen Bemühungen um den „Canon“ des Avicenna untersucht, — jahr-
hundertelang das wichtigste medizinische Lehrwerk sowohl im Orient als auch in
Europa. Bereits die Venezianer Ärzte Andrea Alpago (gest. 1522) und Benedetto
Rinio (gest. 1566) haben den Versuch unternommen, Avicennas Quellen und Vor-
lagen sowie seine Vorgehensweise im Umgang mit diesen Quellen systematisch zu
erschließen. Ihre umfassenden „Canon“-Glossierungen bilden deshalb den Aus-
gangspunkt für die Beschreibung professioneller Wissenschaft als eines komplexen,
mehrstufigen Prozesses der Rezeption und interpretierenden Verarbeitung von auto-
ritativen Vorlagen: Frühneuzeitliche ‘akademische’ Mediziner gehen im Streben nach
der Erweiterung ihres medizinischen Sac/zwissens und in der Auseinandersetzung mit
bloßen Avicenna-Interpretationen auf die Autorität selbst zurück, und zwar indem
sie Avicennas Vorlagen freilegen: Die Rekonstruktion der Vermittlungs- und Trans-
formationsprozesse ermöglicht dabei dem Anspruch frühneuzeitlicher Gelehrsamkeit nach
die Abstraktion von der bloß re-interpretativen Denkbewegung und macht Wissen-
sinhalte als vermittelte Erfahrung zugänglich. Daß dabei zugleich die europäische
Medizin durch ihre islamische Autorität hindurch neu auf ihre antiken Fundamente
befragt wird, ermöglicht zugleich die interkulturelle Konturierung der Fragestellung
der Projektgruppe (RaphaelaVeit).
Gerade dieser Aspekt steht im Fokus, wenn innerhalb des Projektes, ausgehend
von der Auswertung literarischer Quellen, besonders persischer und arabischer Witze
und humoristischer Anekdoten des 14. bis 16. Jahrhunderts (d. h. zeitlich parallel zu
den europäischen Untersuchungsgegenständen), die Wahrnehmung und Bewertung
religiöser Gelehrter und Autoritäten im Islam erforscht wird, die verschiedene Typen
von Gelehrsamkeit mit unterschiedlich starker Einbindung in gesellschaftliche Funk-
tionen verkörpern und damit unterschiedliche Stufen und Elemente von wissen-
schaftlicher Professionalität repräsentieren. Konsequenzen für die Einbindung der
Religionsgelehrten in die Gesellschaft und ihre soziale Position sowie zum Verhält-
nis von Gelehrsamkeit und politischer Macht stehen - zurückgreifend bis in das für
spätere Entwicklungen prägende 11. Jahrhundert — derzeit im Zentrum des For-
schungsinteresses (Susanne Kurz).
Dabei hat sich bereits erwiesen, daß ein Konzept von Professionalität, wie es
sich auf der Grundlage der europäischen Verhältnisse entwickeln läßt, nicht ohne
erhebliche Modifikationen auf den Kontext der islamischen Kultur übertragen wer-
den kann. Dieser Vergleich bestätigt somit die kulturelle Spezifität des professionel-
len Verständnisses wissenschaftlichen Wissens im Spannungsfeld von Selbstzweckhaf-
tigkeit und Funktionalität.