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FÖRDERUNG DES WISSENSCHAFTLICHEN NACHWUCHSES
lich-disziplinärer Theologie und ‘einfacher’ Frömmigkeit bereits voraus, gerade
indem er beide Dimensionen — erneut — miteinander zu vermitteln sucht und
Theologie wieder praktisch werden lassen will (Pavlina Rychterovä).
Zeitlich und sachlich verschränken sich diese Studien mit einem weiteren
Arbeitsschwerpunkt der Gruppe, der im Bereich der frühneuzeitlichen Auseinan-
dersetzung mit der zeitgenössischen Situation der (universitären) Wissenschaft und
ihrer gesellschaftlichen Funktion liegt. Dabei gilt das Interesse zunächst der Welle
von Studienreformen, mittels derer in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts die Trä-
ger der bestehenden Universitäten versuchen, deren personelle und organisatorische
Struktur sowie die Lehrinhalte so zu beeinflussen und zu verändern, daß die Uni-
versität mindestens partiell in eine Ausbildungsstätte umgebaut wird, die geeignet ist,
den wachsenden Bedarf des entstehenden frühneuzeitlichen Staates an einer geho-
benen anwendungsbezogenen (Aus-)Bildung seiner Beamten zu befriedigen. Beson-
ders deutlich zeigen sich derartige Bestrebungen an Reformen der universitären
Artistenfakultäten: Diese sind namentlich in Deutschland faktisch schon längst nicht
mehr Orte eines wissenschaftspropädeutischen Studiums, sondern Stätten einer
höheren gymnasialen Ausbildung insbesondere im sprachlichen Bereich, die zu mitt-
leren Aufgaben unterhalb des Niveaus insbesondere der akademisch gebildeten Juri-
sten, aber auch zum Lehrerberuf befähigen sollte. Solche Tendenzen werden nun-
mehr von Fürsten und Städten als Universitätsträgern aufgenommen, verstärkt und
reguliert, die Selbstzweckhaftigkeit wissenschaftlichen Wissens also nachdrücklich in
Zweifel gezogen (Daniel Götzen).
Parallel sind freilich Bestrebungen zu beobachten, erneut ein deutlich gestei-
gertes Selbstbewußtsein wissenschaftlichen Wissens durchzusetzen. Daß dies gele-
gentlich im ausdrücklichen Rückgriff auf den ‘lateinischen Averroismus’ des 13. Jahr-
hunderts geschieht, verdient im gegebenen Zusammenhang besonderes Interesse. Der
Schwerpunkt der Untersuchung liegt deshalb auf Konvergenzen zwischen
wiederbelebten monopsychistischen Seelentheorien und Staatskonzeptionen, in
denen sich die Exponenten der höchsten Form wissenschaftlichen Wissens einerseits
eine Leitungskompetenz zusprechen, die die Systemstelle besetzt, die in älteren Staats-
modellen der Kirche und den Geistlichen zukommt, während andererseits
die Religion als Instrument zur moralischen und gesellschaftlichen Disziplinierung
der weniger Gebildeten begriffen wird. Demgegenüber übersteigt der Mensch in
der rein theoretischen Einsicht die Begrenzungen der menschlichen Natur über-
haupt, während andererseits gerade darin die Bedeutung der Wissenschaftler für die
übrigen Menschen und ihre sozialen und politischen Lebensformen bestehen soll.
Derartige Konzeptionen, für die exemplarisch Pietro Pomponazzi und Girolamo
Cardano stehen, Überspannen die Grunddialektik professioneller Wissenschaftlichkeit,
die Dualität von Selbstzweckhaftigkeit und Funktionalität, aus der aristotelischen Tra-
dition heraus bis ins Krisenhafte. Wie Studien zur Geschichte des naturwissenschaft-
lichen Denkens zeigen, die die Projektgruppe gemeinsam mit externen Partnern
betreibt, ist es diese Krise, in die ein neuer i. e. S. empirischer Erfahrungsbegriff (auch
in der Politik), das erneuerte Bestehen auf der Nützlichkeit des Wissens, aber auch
eine insbesondere mathematisch verstandene Rationalität stoßen (Stefan Seit).
FÖRDERUNG DES WISSENSCHAFTLICHEN NACHWUCHSES
lich-disziplinärer Theologie und ‘einfacher’ Frömmigkeit bereits voraus, gerade
indem er beide Dimensionen — erneut — miteinander zu vermitteln sucht und
Theologie wieder praktisch werden lassen will (Pavlina Rychterovä).
Zeitlich und sachlich verschränken sich diese Studien mit einem weiteren
Arbeitsschwerpunkt der Gruppe, der im Bereich der frühneuzeitlichen Auseinan-
dersetzung mit der zeitgenössischen Situation der (universitären) Wissenschaft und
ihrer gesellschaftlichen Funktion liegt. Dabei gilt das Interesse zunächst der Welle
von Studienreformen, mittels derer in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts die Trä-
ger der bestehenden Universitäten versuchen, deren personelle und organisatorische
Struktur sowie die Lehrinhalte so zu beeinflussen und zu verändern, daß die Uni-
versität mindestens partiell in eine Ausbildungsstätte umgebaut wird, die geeignet ist,
den wachsenden Bedarf des entstehenden frühneuzeitlichen Staates an einer geho-
benen anwendungsbezogenen (Aus-)Bildung seiner Beamten zu befriedigen. Beson-
ders deutlich zeigen sich derartige Bestrebungen an Reformen der universitären
Artistenfakultäten: Diese sind namentlich in Deutschland faktisch schon längst nicht
mehr Orte eines wissenschaftspropädeutischen Studiums, sondern Stätten einer
höheren gymnasialen Ausbildung insbesondere im sprachlichen Bereich, die zu mitt-
leren Aufgaben unterhalb des Niveaus insbesondere der akademisch gebildeten Juri-
sten, aber auch zum Lehrerberuf befähigen sollte. Solche Tendenzen werden nun-
mehr von Fürsten und Städten als Universitätsträgern aufgenommen, verstärkt und
reguliert, die Selbstzweckhaftigkeit wissenschaftlichen Wissens also nachdrücklich in
Zweifel gezogen (Daniel Götzen).
Parallel sind freilich Bestrebungen zu beobachten, erneut ein deutlich gestei-
gertes Selbstbewußtsein wissenschaftlichen Wissens durchzusetzen. Daß dies gele-
gentlich im ausdrücklichen Rückgriff auf den ‘lateinischen Averroismus’ des 13. Jahr-
hunderts geschieht, verdient im gegebenen Zusammenhang besonderes Interesse. Der
Schwerpunkt der Untersuchung liegt deshalb auf Konvergenzen zwischen
wiederbelebten monopsychistischen Seelentheorien und Staatskonzeptionen, in
denen sich die Exponenten der höchsten Form wissenschaftlichen Wissens einerseits
eine Leitungskompetenz zusprechen, die die Systemstelle besetzt, die in älteren Staats-
modellen der Kirche und den Geistlichen zukommt, während andererseits
die Religion als Instrument zur moralischen und gesellschaftlichen Disziplinierung
der weniger Gebildeten begriffen wird. Demgegenüber übersteigt der Mensch in
der rein theoretischen Einsicht die Begrenzungen der menschlichen Natur über-
haupt, während andererseits gerade darin die Bedeutung der Wissenschaftler für die
übrigen Menschen und ihre sozialen und politischen Lebensformen bestehen soll.
Derartige Konzeptionen, für die exemplarisch Pietro Pomponazzi und Girolamo
Cardano stehen, Überspannen die Grunddialektik professioneller Wissenschaftlichkeit,
die Dualität von Selbstzweckhaftigkeit und Funktionalität, aus der aristotelischen Tra-
dition heraus bis ins Krisenhafte. Wie Studien zur Geschichte des naturwissenschaft-
lichen Denkens zeigen, die die Projektgruppe gemeinsam mit externen Partnern
betreibt, ist es diese Krise, in die ein neuer i. e. S. empirischer Erfahrungsbegriff (auch
in der Politik), das erneuerte Bestehen auf der Nützlichkeit des Wissens, aber auch
eine insbesondere mathematisch verstandene Rationalität stoßen (Stefan Seit).