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NACHRUFE
Bereits 1978 hatte Wolfgang Iser eine ständige Gastprofessur am English
Department der Umversity of California, Irvine angenommen, die ihn jährlich ein-
mal zu einem Lehraufenthalt verpflichtete. Bis in seine letzten Lebensjahre hat er
diese Aufgabe mit großem Engagement wahrgenommen. Das überaus positive Echo
auf seine dortigen Lehrveranstaltungen und öffentlichen Vorlesungen trug ebenso
wie die Aufnahme seiner englisch erschienenen Werke zu seinem hervorragenden
Ruf in den Vereinigten Staaten bei. Gastprofessuren vor allem in den U.S.A. und
Kanada sowie Fellowships, etwa am Center for Humamties an derWesleyan Univer-
sity, am Netherlands Institute for Advanced Studies mWassenaar oder am Rockefei-
ler Center in Bellagio, gaben ihm Gelegenheit, seine theoretischen Konzepte zur
Diskussion zu stellen. Da alle seine Schriften in mehrere Sprachen, europäische und
außereuropäische, übersetzt wurden, haben seine theoretischen Konzepte eine starke
Wirkung auch in anderen Wissenschaftskontexten ausüben können.
Wolfgang Iser lehnte etliche Rufe ab, um an der Reformuniversität Konstanz
zu bleiben. Ehrendoktorwürden erhielt er von den Universitäten Sofia, Siegen und
Bukarest, die Karlsuniversität zu Prag verlieh ihm die Goldene Medaille, wodurch
der Kontakt, der zwischen Konstanz und den tschechischen Strukturalisten seit Jah-
ren bestanden hatte, bekräftigt wurde. Vortragsreisen führten ihn nicht nur in viele
europäische Länder, nach Israel und in die U.S.A., sondern auch nach Asien: nach
Taiwan und Südkorea. Mit seinem anglistischen Kollegen Sanford Budick von der
Hebräischen Universität in Jerusalem initiierte er ein biennales Kolloquium, das dem
Gespräch zwischen jüdischen, christlichen und islamischen Gelehrten gelten sollte,
und zum ersten Mal Ende der 80er Jahre in Jerusalem stattfand und dort, allerdings
in der Folge ohne Beteiligung der islamischen Seite, dreimal wiederholt werden
konnte. Die aus den Symposien hervorgegangenen Publikationen, The Languages of
the Unsayable, 1989, und The Translatabilty of Culture, 1996, dokumentieren eine
exemplarische Interdisziplinarität, der man an diesem Ort noch eine weitere
Zukunft gewünscht hätte. 2002 wurde Wolfgang Iser in die British Academy aufge-
nommen. Die damit eröffnete Möglichkeit zu regelmäßigen Forschungsaufenthalten
in London konnte er nicht mehr verwirklichen.
Mitglied der Heidelberger Akademie der Wissenschaften wurde Wolfgang Iser
1975. Seme Antrittsrede am 24. Januar 1976 machte deutlich, daß er seinen wissen-
schaftlichen Weg als eine Entfernung von der „positivistischen Geistesgeschichte und
einer diachronisch verfahrenden Phonologie“ verstand, der ihn zur Philosophie
führte, die sich in seiner Tübinger Zeit mit dem Namen Eduard Spranger verband.
In seiner Heidelberger Dissertation Die Weltanschauung Henry Fieldings suchte er die
„geisteswissenschaftliche Typenlehre Diltheyscher Abkunft mit jener psychologi-
schen Fundierung“ zu verbinden, die Karl Jaspers in seiner Psychologie der Welt-
anschauungen gegeben hatte. Sein Lehrer Herman Martin Flasdieck ließ ihn ge-
währen, wissend, daß kein Junggrammatiker aus ihm werden würde. Gegenstand sei-
ner Habilitationsschrift ist das Ästhetische im fm de siede mit dem Titel Walter Pater.
Die Autonomie des Ästhetischen. Es ist eine Arbeit, die als „Vorklärung für die Kunst
der Moderne gedacht war“, an der ihn die Selbstbezüglichkeit, die Thematisierung
der Erzeugungsvorgänge faszinierte. Für ihn war das der Beginn einer analytischen
NACHRUFE
Bereits 1978 hatte Wolfgang Iser eine ständige Gastprofessur am English
Department der Umversity of California, Irvine angenommen, die ihn jährlich ein-
mal zu einem Lehraufenthalt verpflichtete. Bis in seine letzten Lebensjahre hat er
diese Aufgabe mit großem Engagement wahrgenommen. Das überaus positive Echo
auf seine dortigen Lehrveranstaltungen und öffentlichen Vorlesungen trug ebenso
wie die Aufnahme seiner englisch erschienenen Werke zu seinem hervorragenden
Ruf in den Vereinigten Staaten bei. Gastprofessuren vor allem in den U.S.A. und
Kanada sowie Fellowships, etwa am Center for Humamties an derWesleyan Univer-
sity, am Netherlands Institute for Advanced Studies mWassenaar oder am Rockefei-
ler Center in Bellagio, gaben ihm Gelegenheit, seine theoretischen Konzepte zur
Diskussion zu stellen. Da alle seine Schriften in mehrere Sprachen, europäische und
außereuropäische, übersetzt wurden, haben seine theoretischen Konzepte eine starke
Wirkung auch in anderen Wissenschaftskontexten ausüben können.
Wolfgang Iser lehnte etliche Rufe ab, um an der Reformuniversität Konstanz
zu bleiben. Ehrendoktorwürden erhielt er von den Universitäten Sofia, Siegen und
Bukarest, die Karlsuniversität zu Prag verlieh ihm die Goldene Medaille, wodurch
der Kontakt, der zwischen Konstanz und den tschechischen Strukturalisten seit Jah-
ren bestanden hatte, bekräftigt wurde. Vortragsreisen führten ihn nicht nur in viele
europäische Länder, nach Israel und in die U.S.A., sondern auch nach Asien: nach
Taiwan und Südkorea. Mit seinem anglistischen Kollegen Sanford Budick von der
Hebräischen Universität in Jerusalem initiierte er ein biennales Kolloquium, das dem
Gespräch zwischen jüdischen, christlichen und islamischen Gelehrten gelten sollte,
und zum ersten Mal Ende der 80er Jahre in Jerusalem stattfand und dort, allerdings
in der Folge ohne Beteiligung der islamischen Seite, dreimal wiederholt werden
konnte. Die aus den Symposien hervorgegangenen Publikationen, The Languages of
the Unsayable, 1989, und The Translatabilty of Culture, 1996, dokumentieren eine
exemplarische Interdisziplinarität, der man an diesem Ort noch eine weitere
Zukunft gewünscht hätte. 2002 wurde Wolfgang Iser in die British Academy aufge-
nommen. Die damit eröffnete Möglichkeit zu regelmäßigen Forschungsaufenthalten
in London konnte er nicht mehr verwirklichen.
Mitglied der Heidelberger Akademie der Wissenschaften wurde Wolfgang Iser
1975. Seme Antrittsrede am 24. Januar 1976 machte deutlich, daß er seinen wissen-
schaftlichen Weg als eine Entfernung von der „positivistischen Geistesgeschichte und
einer diachronisch verfahrenden Phonologie“ verstand, der ihn zur Philosophie
führte, die sich in seiner Tübinger Zeit mit dem Namen Eduard Spranger verband.
In seiner Heidelberger Dissertation Die Weltanschauung Henry Fieldings suchte er die
„geisteswissenschaftliche Typenlehre Diltheyscher Abkunft mit jener psychologi-
schen Fundierung“ zu verbinden, die Karl Jaspers in seiner Psychologie der Welt-
anschauungen gegeben hatte. Sein Lehrer Herman Martin Flasdieck ließ ihn ge-
währen, wissend, daß kein Junggrammatiker aus ihm werden würde. Gegenstand sei-
ner Habilitationsschrift ist das Ästhetische im fm de siede mit dem Titel Walter Pater.
Die Autonomie des Ästhetischen. Es ist eine Arbeit, die als „Vorklärung für die Kunst
der Moderne gedacht war“, an der ihn die Selbstbezüglichkeit, die Thematisierung
der Erzeugungsvorgänge faszinierte. Für ihn war das der Beginn einer analytischen