Wolfgang Iser | 175
Beschäftigung mit der Literatur der Moderne, wobei das Interesse für deren wir-
kungsästhetischen Aspekt, verbunden mit dem funktionsgeschichtlichen der Leser-
rolle, in den Vordergrund trat. Die Art, wie er seine wissenschaftliche Ausrichtung
und die Herausbildung seiner theoretischen Konzepte vor der Akademie beschrieb,
ließ eben jenen Duktus in Thesenbildung, Argumentation, Abstraktion und
Begriffsprägung erkennen, der auch sein weiteres Werk durchgehend ausgezeichnet
hat.
Seme Abkoppelung von positivistischen Ansätzen, die sein Studium der Angli-
stik insbesondere im Bereich der Sprachwissenschaft zunächst prägte, bedeutete
zugleich eine Annäherung an Positionen einer theoretisch ausgerichteten Literatur-
wissenschaft, die in den 60er Jahren durch die Rezeption des russischen Formalis-
mus (der durch die von Jurij Striedter und Wolf-Dieter Stempel herausgegebenen
Bände Texte der Russischen Formalisten nicht nur für Konstanz bedeutungsvoll wurde),
des tschechischen Strukturalismus und der von Roman Ingarden vertretenen litera-
turwissenschaftlichen Phänomenologie geprägt war. Alle Positionen hat Wolfgang
Iser kritisch durchschritten, wobei Theoreme des Strukturalismus und der Phäno-
menologie nachhaltigere Spuren als der Formalismus hinterlassen haben. Sein Weg
führte allerdings über diese Ansätze hinaus von einer texttheoretisch fundierten Ana-
lyse literarischer Texte (Spenser, Bunyan, Sterne, Pater, Thackeray, Joyce, Faulkner,
Beckett) zu einer philosophisch ausgerichteten Literaturtheorie, wie sie in seinen
späteren Arbeiten im Konzept der Anthropologie der Literatur pointiert zum Aus-
druck kam.
Die Forschungsgruppe Poetik und Hermeneutik prägte einen Arbeitsstil aus,
der es erlaubte, zu den jeweils gewählten Themen (die hernach zu literaturwissen-
schaftlichen Leitthemen werden sollten) zentrale Thesen der eigenen Arbeiten refe-
rieren und diskutieren zu lassen. Die in etlichen Bänden abgedruckten Diskussi-
onsbeiträge belegen das eindrücklich. Häufig wurden die das kritische Echo auf-
nehmenden Texte Initialzündungen für größere Würfe. Auch die Iserschen Arbeiten
sind von diesem Arbeitsstil geprägt. Die meisten seiner Themen haben eine Art Vor-
lauf in der Gruppe erfahren. Dies gilt insbesondere für zwei seiner Forschungsbe-
reiche, Fiktionstheorie und Wirkungsästhetik, die durch den Begriff „Akt“ verbun-
den sind. Während der Akt in „Die Akte des Fingierens“ (in dem 1983 gemeinsam
mit Dieter Henrich herausgegeben Band X von Poetik und Hermeneutik: Funktio-
nen des Fiktiven, S. 121-151) die Sinnkonstitution des Textes in bezug auf die gestal-
tete Distanz zu einem Wirklichkeitssubstrat betrifft und damit eher produktions-
ästhetisch orientiert ist, läßt die wirkungsästhetische Perspektive in Der Akt des
Lesens (1976) den Rezipienten als strukturbildenden Faktor zum Gegenstand wer-
den. Akt meint in beiden Fällen die dynamische Dimension des Textes, die entwe-
der in seiner Darstellungsfunktion oder in seiner Appellfunktion besteht und sich
in textimmanenten, auf Antwort angelegten Strukturen manifestiert. In „Die
Appellstruktur der Texte“ (1970) — es ist die Konstanzer Antrittsvorlesung - geht es
um eben diese Dynamik. (Darstellung und Appell sind Begriffe aus der Bühlerschen
triadischen Bestimmung der Sprachfunktionen, deren dritte die Ausdruckfunktion
ist, um die es hier nicht geht. Iser ersetzt Darstellung durch Fingieren). Hiermit
Beschäftigung mit der Literatur der Moderne, wobei das Interesse für deren wir-
kungsästhetischen Aspekt, verbunden mit dem funktionsgeschichtlichen der Leser-
rolle, in den Vordergrund trat. Die Art, wie er seine wissenschaftliche Ausrichtung
und die Herausbildung seiner theoretischen Konzepte vor der Akademie beschrieb,
ließ eben jenen Duktus in Thesenbildung, Argumentation, Abstraktion und
Begriffsprägung erkennen, der auch sein weiteres Werk durchgehend ausgezeichnet
hat.
Seme Abkoppelung von positivistischen Ansätzen, die sein Studium der Angli-
stik insbesondere im Bereich der Sprachwissenschaft zunächst prägte, bedeutete
zugleich eine Annäherung an Positionen einer theoretisch ausgerichteten Literatur-
wissenschaft, die in den 60er Jahren durch die Rezeption des russischen Formalis-
mus (der durch die von Jurij Striedter und Wolf-Dieter Stempel herausgegebenen
Bände Texte der Russischen Formalisten nicht nur für Konstanz bedeutungsvoll wurde),
des tschechischen Strukturalismus und der von Roman Ingarden vertretenen litera-
turwissenschaftlichen Phänomenologie geprägt war. Alle Positionen hat Wolfgang
Iser kritisch durchschritten, wobei Theoreme des Strukturalismus und der Phäno-
menologie nachhaltigere Spuren als der Formalismus hinterlassen haben. Sein Weg
führte allerdings über diese Ansätze hinaus von einer texttheoretisch fundierten Ana-
lyse literarischer Texte (Spenser, Bunyan, Sterne, Pater, Thackeray, Joyce, Faulkner,
Beckett) zu einer philosophisch ausgerichteten Literaturtheorie, wie sie in seinen
späteren Arbeiten im Konzept der Anthropologie der Literatur pointiert zum Aus-
druck kam.
Die Forschungsgruppe Poetik und Hermeneutik prägte einen Arbeitsstil aus,
der es erlaubte, zu den jeweils gewählten Themen (die hernach zu literaturwissen-
schaftlichen Leitthemen werden sollten) zentrale Thesen der eigenen Arbeiten refe-
rieren und diskutieren zu lassen. Die in etlichen Bänden abgedruckten Diskussi-
onsbeiträge belegen das eindrücklich. Häufig wurden die das kritische Echo auf-
nehmenden Texte Initialzündungen für größere Würfe. Auch die Iserschen Arbeiten
sind von diesem Arbeitsstil geprägt. Die meisten seiner Themen haben eine Art Vor-
lauf in der Gruppe erfahren. Dies gilt insbesondere für zwei seiner Forschungsbe-
reiche, Fiktionstheorie und Wirkungsästhetik, die durch den Begriff „Akt“ verbun-
den sind. Während der Akt in „Die Akte des Fingierens“ (in dem 1983 gemeinsam
mit Dieter Henrich herausgegeben Band X von Poetik und Hermeneutik: Funktio-
nen des Fiktiven, S. 121-151) die Sinnkonstitution des Textes in bezug auf die gestal-
tete Distanz zu einem Wirklichkeitssubstrat betrifft und damit eher produktions-
ästhetisch orientiert ist, läßt die wirkungsästhetische Perspektive in Der Akt des
Lesens (1976) den Rezipienten als strukturbildenden Faktor zum Gegenstand wer-
den. Akt meint in beiden Fällen die dynamische Dimension des Textes, die entwe-
der in seiner Darstellungsfunktion oder in seiner Appellfunktion besteht und sich
in textimmanenten, auf Antwort angelegten Strukturen manifestiert. In „Die
Appellstruktur der Texte“ (1970) — es ist die Konstanzer Antrittsvorlesung - geht es
um eben diese Dynamik. (Darstellung und Appell sind Begriffe aus der Bühlerschen
triadischen Bestimmung der Sprachfunktionen, deren dritte die Ausdruckfunktion
ist, um die es hier nicht geht. Iser ersetzt Darstellung durch Fingieren). Hiermit