Arno Borst | 191
ARNO BORST
(8.5.1925-24.4.2007)
Arno Borst ist am 24. April 2007 in Konstanz gestorben; zwei Wochen später, am
8. Mai, wäre er 82 Jahre alt geworden. Bis zuletzt höchst konzentriert tätig, konnte
er 2006 die siebte und letzte große Frucht seiner Studien zur Nutzung, Gliederung
und Deutung der Zeit im europäischen Frühmittelalter, die er vier Jahrzehnte lang
betrieben hat, gedruckt in Händen halten: eine dreibändige kommentierte Edition
von „Schriften zur Komputistik im Frankenreich von 721 bis 818“. Wenn Arno
Borst Texte zur Zeitbestimmung in die Hand nahm, die sich der Arithmetik und
Astronomie bedienen, blieben selbst sie kein lebensferner Stoff. Das Buch lebe, so
Borst im Vorwort, ebenso wie die darin herausgegebenen Schriften, „von der Span-
nung zwischen Frage und Antwort ... Denn hier geht es nicht um gelehrte Über-
lieferungen, sondern um gelebte Überzeugungen, um die Frage, wie hinfällige Men-
schen ihr wertvollstes Gut, ihre Lebenszeit, behandeln sollten. Darauf gaben sie im
Lauf der Weltgeschichte stets sehr verschiedene, oft höchst eigenwillige Antworten.“
Borst hat nicht erst als Historiker der Zeit, der er fast zur eigenen Überraschung
durch die Lektüre der Werke des Reichenauer Mönchs Hermann des Lahmen, eines
der größten Gelehrten des hohen Mittelalters, geworden ist, sondern von Anfang an
das respektvoll wißbegierige und empathische Gespräch mit denen gesucht, die
schon gelebt und auf die zentralen Fragen menschlicher Existenz bereits Antworten
gegeben haben. Darum war es ihm ein Greuel, wenn moderne Historiker als „Über-
lebende von Amts wegen“, statt neugierig zu fragen und sich überraschen zu lassen,
routiniert „einordnen“, weil sie ja wissen, wie es weiterging, und als „Ewigheutige“
selbstgewisse wissenschaftliche Überlegenheit über die Vorderen behaupten. Um
ihnen — den Ewigheutigen - zu entkommen, so Borst im April 2006, „suche ich
Zuflucht bei Vorgängern, deren Erinnerungen aus unsicheren Zeiten kommen, und
bei Nachfolgern, deren Erwartungen in ungewisse Zeiten gehen. Beim Abschied von
ARNO BORST
(8.5.1925-24.4.2007)
Arno Borst ist am 24. April 2007 in Konstanz gestorben; zwei Wochen später, am
8. Mai, wäre er 82 Jahre alt geworden. Bis zuletzt höchst konzentriert tätig, konnte
er 2006 die siebte und letzte große Frucht seiner Studien zur Nutzung, Gliederung
und Deutung der Zeit im europäischen Frühmittelalter, die er vier Jahrzehnte lang
betrieben hat, gedruckt in Händen halten: eine dreibändige kommentierte Edition
von „Schriften zur Komputistik im Frankenreich von 721 bis 818“. Wenn Arno
Borst Texte zur Zeitbestimmung in die Hand nahm, die sich der Arithmetik und
Astronomie bedienen, blieben selbst sie kein lebensferner Stoff. Das Buch lebe, so
Borst im Vorwort, ebenso wie die darin herausgegebenen Schriften, „von der Span-
nung zwischen Frage und Antwort ... Denn hier geht es nicht um gelehrte Über-
lieferungen, sondern um gelebte Überzeugungen, um die Frage, wie hinfällige Men-
schen ihr wertvollstes Gut, ihre Lebenszeit, behandeln sollten. Darauf gaben sie im
Lauf der Weltgeschichte stets sehr verschiedene, oft höchst eigenwillige Antworten.“
Borst hat nicht erst als Historiker der Zeit, der er fast zur eigenen Überraschung
durch die Lektüre der Werke des Reichenauer Mönchs Hermann des Lahmen, eines
der größten Gelehrten des hohen Mittelalters, geworden ist, sondern von Anfang an
das respektvoll wißbegierige und empathische Gespräch mit denen gesucht, die
schon gelebt und auf die zentralen Fragen menschlicher Existenz bereits Antworten
gegeben haben. Darum war es ihm ein Greuel, wenn moderne Historiker als „Über-
lebende von Amts wegen“, statt neugierig zu fragen und sich überraschen zu lassen,
routiniert „einordnen“, weil sie ja wissen, wie es weiterging, und als „Ewigheutige“
selbstgewisse wissenschaftliche Überlegenheit über die Vorderen behaupten. Um
ihnen — den Ewigheutigen - zu entkommen, so Borst im April 2006, „suche ich
Zuflucht bei Vorgängern, deren Erinnerungen aus unsicheren Zeiten kommen, und
bei Nachfolgern, deren Erwartungen in ungewisse Zeiten gehen. Beim Abschied von