9. Juni 2007 | 37
EIKE WOLGAST HÄLT DEN FESTVORTRAG:
„PAX OPTIMA RERUM. THEORIE UND PRAXIS DES
FRIEDENSSCHLUSSES IN DER NEUZEIT"
„Der König und die Kaiserin,
des langen Haders müde,
erweichten ihren harten Sinn
und machten endlich Friede. “
Mit diesen Versen spiegelt Gottfried August Bürger in seiner Ballade „Lenore“ von
1773 den Siebenjährigen Krieg und den Hubertusburger Frieden zwischen Preußen
und Österreich. Wie aber „machte“ man Frieden? Was sind die Wesenselemente der
Textgattung Friedensvertrag? Welche Normen werden zugrunde gelegt, welche For-
meln werden benutzt, tradiert, abgewandelt und schließlich — mit oder ohne Ersatz
— fallengelassen? Was macht einen Friedensvertrag für die Zeitgenossen nicht nur
juristisch gültig, sondern auch moralisch akzeptabel? Die Friedensverträge sollen im
Folgenden untersucht werden als Seismograph des jeweiligen Zeitgeistes. Es wird
dabei nicht um den jeweiligen materiellen Inhalt gehen, also um Grenzveränderun-
gen, Territorialverschiebungen, Handelsbestimmungen und dergleichen, sondern um
die Strukturen und das Rahmenwerk, um die Stützen, die dem Ganzen des Vertrags
seine gehörige Form geben. Zu diesem strukturellen Rahmenwerk gehören vor
allem die Gestaltung von Invocatio und Präambel, die Benutzung religiöser Wen-
dungen und die Bewältigung der Konfessionsverschiedenheit, die Friedensformel,
Amnestie und Schuldfrage, Behandlung der Kriegsgefangenen und die Vertrags-
sprache.1
Ich beschränke mich bei meinen Beobachtungen auf die Neuzeit und auf die
Verträge zwischen europäischen Staaten (und mit den USA) — im Gegensatz zu der
monumentalen Arbeit von Jörg Fisch, die im alten Mesopotamien beginnt und den
Kolonialverträgen breiten Raum widmet.2 Für die formaljuristische Untersuchung
der Textgattung Friedensvertrag ist noch immer die Studie von Ludwig Bittner mit
großem Gewinn zu verwenden.3
1 Die Friedensverträge bis 1730 sind gesammelt in Jean DuMont (Hg.), Corps Universel Diploma-
tique du Droit des Gens 8 Bde, Amsterdam/den Haag 1726—1731; daran schließen sich die sog.
Martens-Serien an, beginnend mit George Frederic de Martens (Hg.), Recueil de traites 7 Bde.,
Göttingen 1791-1801, fortgesetzt als Supplement au Recueil bzw. Nouveau recueil. Eine Über-
sicht über die Martens-Serien ist im Archiv des öffentlichen Rechts Bd. 40 (1921), 22—72 gege-
ben. Hinzuweisen ist ferner auf Arnold Toynbee/Fred L. Israel/Emanuel Chili (Hg.), Major Peace
Treaties of Modern History 4 Bde, NewYork/Toronto/London/Sydney 1967 (alle Texte in eng-
lischer Übersetzung), sowie auf Wilhelm G. Grewe (Hg.), Fontes Historiae Juris Gentium. Quel-
len zur Geschichte des Völkerrechts 3 Bde., Berlin 1995 (keine Volltexte).
“ J°rg Fisch, Krieg und Frieden im Friedensvertrag. Eine universalgeschichtliche Studie über
Grundlagen und Formelemente des Friedensschlusses, Stuttgart 1979.
3 Ludwig Bittner, Die Lehre von den völkerrechtlichen Vertragsurkunden, Berlin/Leipzig 1924. Am
Procedere, nicht am Produkt orientiert ist Hans von Heutig, Der Friedensschluß. Geist und Tech-
nik einer verlorenen Kunst, Stuttgart 1952.
EIKE WOLGAST HÄLT DEN FESTVORTRAG:
„PAX OPTIMA RERUM. THEORIE UND PRAXIS DES
FRIEDENSSCHLUSSES IN DER NEUZEIT"
„Der König und die Kaiserin,
des langen Haders müde,
erweichten ihren harten Sinn
und machten endlich Friede. “
Mit diesen Versen spiegelt Gottfried August Bürger in seiner Ballade „Lenore“ von
1773 den Siebenjährigen Krieg und den Hubertusburger Frieden zwischen Preußen
und Österreich. Wie aber „machte“ man Frieden? Was sind die Wesenselemente der
Textgattung Friedensvertrag? Welche Normen werden zugrunde gelegt, welche For-
meln werden benutzt, tradiert, abgewandelt und schließlich — mit oder ohne Ersatz
— fallengelassen? Was macht einen Friedensvertrag für die Zeitgenossen nicht nur
juristisch gültig, sondern auch moralisch akzeptabel? Die Friedensverträge sollen im
Folgenden untersucht werden als Seismograph des jeweiligen Zeitgeistes. Es wird
dabei nicht um den jeweiligen materiellen Inhalt gehen, also um Grenzveränderun-
gen, Territorialverschiebungen, Handelsbestimmungen und dergleichen, sondern um
die Strukturen und das Rahmenwerk, um die Stützen, die dem Ganzen des Vertrags
seine gehörige Form geben. Zu diesem strukturellen Rahmenwerk gehören vor
allem die Gestaltung von Invocatio und Präambel, die Benutzung religiöser Wen-
dungen und die Bewältigung der Konfessionsverschiedenheit, die Friedensformel,
Amnestie und Schuldfrage, Behandlung der Kriegsgefangenen und die Vertrags-
sprache.1
Ich beschränke mich bei meinen Beobachtungen auf die Neuzeit und auf die
Verträge zwischen europäischen Staaten (und mit den USA) — im Gegensatz zu der
monumentalen Arbeit von Jörg Fisch, die im alten Mesopotamien beginnt und den
Kolonialverträgen breiten Raum widmet.2 Für die formaljuristische Untersuchung
der Textgattung Friedensvertrag ist noch immer die Studie von Ludwig Bittner mit
großem Gewinn zu verwenden.3
1 Die Friedensverträge bis 1730 sind gesammelt in Jean DuMont (Hg.), Corps Universel Diploma-
tique du Droit des Gens 8 Bde, Amsterdam/den Haag 1726—1731; daran schließen sich die sog.
Martens-Serien an, beginnend mit George Frederic de Martens (Hg.), Recueil de traites 7 Bde.,
Göttingen 1791-1801, fortgesetzt als Supplement au Recueil bzw. Nouveau recueil. Eine Über-
sicht über die Martens-Serien ist im Archiv des öffentlichen Rechts Bd. 40 (1921), 22—72 gege-
ben. Hinzuweisen ist ferner auf Arnold Toynbee/Fred L. Israel/Emanuel Chili (Hg.), Major Peace
Treaties of Modern History 4 Bde, NewYork/Toronto/London/Sydney 1967 (alle Texte in eng-
lischer Übersetzung), sowie auf Wilhelm G. Grewe (Hg.), Fontes Historiae Juris Gentium. Quel-
len zur Geschichte des Völkerrechts 3 Bde., Berlin 1995 (keine Volltexte).
“ J°rg Fisch, Krieg und Frieden im Friedensvertrag. Eine universalgeschichtliche Studie über
Grundlagen und Formelemente des Friedensschlusses, Stuttgart 1979.
3 Ludwig Bittner, Die Lehre von den völkerrechtlichen Vertragsurkunden, Berlin/Leipzig 1924. Am
Procedere, nicht am Produkt orientiert ist Hans von Heutig, Der Friedensschluß. Geist und Tech-
nik einer verlorenen Kunst, Stuttgart 1952.