14. Juni 2008
45
Abbildung 4: Heterotope Transplantation zur Ermittlung der prospektiven Potenz
Schema eines typischen Transplantationsversuchs. Einem Gastrula- (oben) oder Neurulakeim
(unten) wird die prospektive Augenanlage entnommen und in die Flanke eines Wirtskeims trans-
plantiert, aus der sich die Somiten (Muskelanlagen) entwickeln. Das Transplantat der Gastrula ent-
wickelt sich ortsgemäß als Somit, während das Transplantat der Neurula sich herkunftsgemäß als
zusätzliches Auge am fremden Ort differenziert (Wolpert, 2002).
bezirke im Stadium der Gastrula schon mehr oder weniger auf ihr späteres Schick-
sal festgelegt oder determiniert sind, oder ob ihnen ihre Bestimmung erst später auf-
geprägt wird. Anders ausgedrückt, wann und woher „weiß“ ein Keimbezirk, in wel-
ches Organ er differenzieren soll? Man bezeichnet dies auch als die Frage nach der
Determination, und diese Frage war es auch, die im Mittelpunkt von Spemanns
Arbeiten stand.
Um diese Frage zu beantworten, hatte er die mikrochirurgische Transplantation
zur Perfektion entwickelt. Beim Transplantationsversuch werden Zellen eines Keim-
bezirks entnommen und an einer anderen Stelle des Körpers wieder eingepflanzt. Sol-
che Transplantate wachsen bei Embryonen überaus leicht ein und nach dem Heilen
ist äußerlich kaum noch etwas von der Operation zu erkennen. Es gibt auch keine
Abstoßungsreaktionen, weil sich das Immunsystem erst viel später entwickelt.
So kann man beispielsweise die präsumtive Augenanlage von einem Spender-
keim in die Flanke eines Wirtskeims transplantieren, die später zu Somiten (Muske-
lanlagen) wird. Für das Transplantat am fremden Ort gibt es nun zwei Möglichkei-
ten. Entweder es fügt sich harmonisch in das umgebende Gewebe ein und ent-
wickelt sich auch zu Somiten, dann entwickelt es sich ortsgemäß und hat sozusagen
keine Erinnerung daran, dass seine eigentliche Bestimmung war, sich als Auge zu
entwickeln; Oder aber das Transplantat differenziert sich als ektopisches Auge am
fremden Ort, es entwickelt sich also herkunftsgemäß und ist zum Zeitpunkt der
Transplantation bereits determiniert (Abb. 4). Um bei unserem Beispiel zu bleiben;
wird der präsumtive Augenbezirk einer Gastrula transplantiert, so entwickelt er sich
ortsgemäß. Entnimmt man den gleichen Bezirk aus dem späteren Stadium der soge-
nannten Neurula, so entwickelt sich ein zusätzliches Auge, die Augenanlage ist in
45
Abbildung 4: Heterotope Transplantation zur Ermittlung der prospektiven Potenz
Schema eines typischen Transplantationsversuchs. Einem Gastrula- (oben) oder Neurulakeim
(unten) wird die prospektive Augenanlage entnommen und in die Flanke eines Wirtskeims trans-
plantiert, aus der sich die Somiten (Muskelanlagen) entwickeln. Das Transplantat der Gastrula ent-
wickelt sich ortsgemäß als Somit, während das Transplantat der Neurula sich herkunftsgemäß als
zusätzliches Auge am fremden Ort differenziert (Wolpert, 2002).
bezirke im Stadium der Gastrula schon mehr oder weniger auf ihr späteres Schick-
sal festgelegt oder determiniert sind, oder ob ihnen ihre Bestimmung erst später auf-
geprägt wird. Anders ausgedrückt, wann und woher „weiß“ ein Keimbezirk, in wel-
ches Organ er differenzieren soll? Man bezeichnet dies auch als die Frage nach der
Determination, und diese Frage war es auch, die im Mittelpunkt von Spemanns
Arbeiten stand.
Um diese Frage zu beantworten, hatte er die mikrochirurgische Transplantation
zur Perfektion entwickelt. Beim Transplantationsversuch werden Zellen eines Keim-
bezirks entnommen und an einer anderen Stelle des Körpers wieder eingepflanzt. Sol-
che Transplantate wachsen bei Embryonen überaus leicht ein und nach dem Heilen
ist äußerlich kaum noch etwas von der Operation zu erkennen. Es gibt auch keine
Abstoßungsreaktionen, weil sich das Immunsystem erst viel später entwickelt.
So kann man beispielsweise die präsumtive Augenanlage von einem Spender-
keim in die Flanke eines Wirtskeims transplantieren, die später zu Somiten (Muske-
lanlagen) wird. Für das Transplantat am fremden Ort gibt es nun zwei Möglichkei-
ten. Entweder es fügt sich harmonisch in das umgebende Gewebe ein und ent-
wickelt sich auch zu Somiten, dann entwickelt es sich ortsgemäß und hat sozusagen
keine Erinnerung daran, dass seine eigentliche Bestimmung war, sich als Auge zu
entwickeln; Oder aber das Transplantat differenziert sich als ektopisches Auge am
fremden Ort, es entwickelt sich also herkunftsgemäß und ist zum Zeitpunkt der
Transplantation bereits determiniert (Abb. 4). Um bei unserem Beispiel zu bleiben;
wird der präsumtive Augenbezirk einer Gastrula transplantiert, so entwickelt er sich
ortsgemäß. Entnimmt man den gleichen Bezirk aus dem späteren Stadium der soge-
nannten Neurula, so entwickelt sich ein zusätzliches Auge, die Augenanlage ist in