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Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]
Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2009 — 2010

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I. Das Geschäftsjahr 2009
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Wimmenauer, Wolfhard: Wolf Jürgen Baron von Engelhardt (9.2.1910 - 4.12.2008)
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https://doi.org/10.11588/diglit.66333#0168
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NACHRUFE

Noch weiter reicht die Bestimmung des zweiten Buches „Goethes Welt-
ansichten“ von 2007, wenn dort Goethes Bild der Welt und des Menschen im bio-
graphischen Kontext so dargelegt wird, wie dieses im Lauf seines Lebens, teils sich
wandelnd, teils beständig, in Erscheinung trat. Ausführlich werden hier Goethes
Auseinandersetzungen mit den Philosophien Kants und Schellings behandelt. Eine
eigene Würdigung erfuhren später noch Goethes Aufsatz „Der Versuch als Vermittler
von Objekt und Subjekt“ (2000) sowie Goethes Fichtestudien (2004). Neben den
Arbeiten zu den Geowissenschaften sind in dem Buch „Goethes Weltansichten“
auch die zur Farbenlehre und zur Morphologie der Lebewesen einbezogen. Eine
Vielzahl von Goethes Gedichten, Motive in den Faust-Dramen, den Wahlverwandt-
schaften und anderen dichterischen Werken dienen paradigmatisch dem Gesamtbild.
Besondere Aufmerksamkeit gilt wieder auch Goethes Sprache in den naturwissen-
schaftlichen Texten. Unter den vielen Entdeckungen, die dem scharfen Blick des
Chronisten hier zu verdanken sind, ist es eine Passage im dritten Buch von „Wil-
helm Meisters Wanderjahre“, wo Goethe eindeutig den weiten Transport großer
Findlinge in der Schweiz und in Norddeutschland durch Gletscher erklären lässt -
eine Erkenntnis, mit der Goethe späteren Forschern um mindestens zwei Jahrzehn-
te zuvorkam; sie erscheint sonst aber nirgends in seinem eigentlichen wissenschaftli-
chen Werk. Das Beispiel ist nur ein vereinzeltes aus der überwältigenden Fülle der
Aspekte und Beziehungen, die in Goethes poetischem und wissenschaftlichem Werk
von W. v. E. aufgespürt, interpretiert und adäquat dargestellt werden.
Mit Dank und Verehrung gedenkt auch die Heidelberger Akademie der
Wissenschaften, deren Mitglied er seit 1961 war, des kongenialen Interpreten eines
großen Naturforschers und Menschheitslehrers. Die ungeheure Arbeitsleistung, über
die zu berichten war, wurde in disziplinierter Lebensführung und souveräner Gelas-
senheit erbracht. Bis in die letzten Lebensjahre war W v. E. beständig tätig. Die mine-
ralogischen Arbeiten geschahen im Institut, wo er immer ein hoch geschätztes und
inspirierendes Mitglied war; die Goethe-Arbeit fand hauptsächlich zu Hause statt.
Dabei war auch für künstlerische Beschäftigungen (Malen, Radieren) noch Zeit. Bei
entsprechenden Gelegenheiten ließ er auch ihm nahe stehende Menschen an seiner
Beglückung über eine neue Einsicht oder Entdeckung teilhaben. Exkursionen in
den Harz, auf denen die einst von Goethe beschriebenen Gesteinsaufschlüsse
besucht wurden, ließen den Einklang von Begeisterung und Wissenschaft bei seiner
Führung zu einem unvergesslichen Erlebnis werden. Ein langes Leben vergönnte es
ihm, mit weitem Weitblick das Wesentliche wahrzunehmen, freudig zur Erkenntnis
zu gestalten und, zu einem großen Werk geformt, weiter zu geben.
Wolf von Engelhardt starb am 4. Dezember 2008 in Tübingen.

WOLFHARD WIMMENAUER
 
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