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Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]
Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2009 — 2010

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IV. Veranstaltungen im Jubiläumsjahr
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Kirchhof, Paul: Symposium "Wissenschaft und Gesellschaft. Ihre Begegnung in der Sprache"
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https://doi.org/10.11588/diglit.66333#0375
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29. bis 30. Mai 2009 | 391

Am Anfang steht die Suche nach der vollkommenen Sprache (Wolfgang
Raible). Sie macht bewusst, dass die Vielfalt der Welt nicht mit Hilfe einer begrenz-
ten Zahl eindeutiger Zeichen erfasst werden kann. Eine vollkommene Sprache wird
es niemals geben, weil die Welt sich nicht in ein Schema fügt, der Mensch in Frei-
heit seine Sprache ständig ändert und sich nicht völlig in Regelmäßigkeiten erfassen
und binden lässt.
Der zweite Blick richtet sich auf den Nutzen der eigenen - der deutschen -
Sprache (Ludwig M. Eichinger), die eine Wissensgemeinschaft, eine Nation bildet,
kulturell formt, der Demokratie eine Grundlage gibt. Jede Sprache erschließt eige-
ne, ihr eigentümliche Ausdrucksmöglichkeiten, öffnet ein Fenster in eine je eigene
Kultur, gibt damit aber auch dem Erlernen von Fremdsprachen in der Vielfalt des
Denkens, Erfahrens und Erlebens einen besonderen Reiz.
Bei der Frage nach den formalen Sprachen in den Wissenschaften (Hans Gün-
ter Dosch), der Sprache der naturwissenschaftlichen Publikationen im Gegensatz
zum informalen Laborjargon, begegnen wir einer engen Beziehung zwischen poe-
tischer und wissenschaftlicher Sprache, weil beide versuchen, das eigentlich Unbe-
schreibbare zu beschreiben. Die Physik entwickelt eine Sprache, um kühne Speku-
lationen als solche zu bezeichnen und ihnen dennoch vertrauensvoll zu folgen. Aus
der sich dort entwickelnden Skepsis gegen eine scharfe Trennung von Theorie und
Fakten entwickelt der Physiker die Freiheit zu einer „recht kecken“ Sprache.
Die Philosophie entdeckt vier Kardinalsprachen ihrer Disziplin, die Paradoxie,
den Dialog, die Abhandlung und den Aphorismus (Ottfried Höffe). Sie schätzt die
Sprache des scharfsinnigen Arguments, erlebt aber in der Sprache, logos, die Vieldeu-
tigkeit und Vielseitigkeit dieses Ausdrucks für Sprache. Die Philosophie beginnt mit
Staunen, nicht einem Bewundern, sondern einem skeptischen Sich-wundern, weiß,
dass kreatives Denken den Sprachschöpfer braucht, dass Denken und mitteilen sich
in Sprache entsprechen müssen, dass Sprache deswegen so vielfältig ist wie mensch-
liches Begegnen und miteinander Sprechen.
Die durch den Lebensbereich und die Aufgabe unterschiedenen Sprachen tref-
fen besonders gegenläufig in der Begegnung von Politik und Wissenschaft aufeinan-
der, einem schwierigen Verhältnis (Norbert Lammert). Wissenschaft will wissen,
Politik will verändern. Wissenschaft sucht den Dialog zu pflegen, der der Wahrheit
verpflichtet ist, Politik den Diskurs, der Verständigung oder Mehrheit sucht. Hinzu
tritt die Erfahrung, dass die Politisierung der Politikberatung, die Demokratisierung
des Expertenwissens die Autorität der Wissenschaft schwächt, dass die Politik zwi-
schen Wissenschaft, Kunst, Handwerk und schlichtem Pragmatismus ihre Aufgabe
immer wieder neu, sich gegen Gesetzlichkeiten wehrend, definiert. Doch die ewige
Suche nach Gewissheit eint Wissenschaft und Politik. Der Anspruch aufWahrheit ist
dem menschlichen Denken eigen, legitimiert aber nicht Herrschaft über andere und
rechtfertigt nicht den Inhalt einer politischen Entscheidung.
Das Recht ist teilweise Ergebnis politischen, mehrheitlichen Entscheidens,
erwächst teilweise aus der Fähigkeit des Menschen, über sich hinaus zu denken. Die
unverbrüchlichen Menschenrechte stehen ebenso wenig zur Entscheidung der Poli-
tik wie die Erfahrung, dass der Mensch essen, schlafen, sich kleiden, sich gegen
 
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